Die Marionette
ließ.
***
»Clarke?«, fragte der Afghane, als er ihm wenig später im Café gegenübersaß. »Paul Clarke, der Engländer? Der steht auf der Abschussliste der Amerikaner ganz oben. Was willst du von ihm?«
»Das werde ich dir zuallerletzt erzählen, Farouk.«
Farouk bin Abdul nippte an seinem Tee und lächelte. »Clarke ist schon lange in diesem Land. Er ist damals mit dem britischen Militär zusammen gekommen und geblieben. Er ist einer der wenigen, der weiß, wovon er schreibt. Aber in New York und London meinen sie, es besser zu wissen, und ändern seine Artikel.« Farouk stellte sein Teeglas zurück auf den Tisch und sah Mayer prüfend an. »Clarke hat Freunde hier im Land.«
Freunde. Kein Wort, das ein Afghane leichtfertig in den Mund nahm.
»Ich bin nicht im Auftrag meiner Regierung unterwegs«, erklärte Mayer vorsichtig.
»Du steckst in Schwierigkeiten«, stellte Farouk fest. »Hast du den amerikanischen Senator erschossen?«
Mayer schwieg.
»Ich weiß nicht, ob Clarke bereit ist, mit dir zu sprechen. Er hat schlechte Erfahrungen mit den Geheimdiensten gemacht.«
»Ich sagte bereits, dass ich nicht im Auftrag meiner Regierung unterwegs bin. Ich arbeite auf eigene Rechnung.«
Farouk beugte sich vor und fixierte Mayer scharf. »Was willst du von ihm?«
Clarke hat Freunde hier im Land.
Mayer begriff, dass es Farouk nicht um den Wert der Informationen ging, sondern um die Sicherheit des britischen Journalisten. »Er ist an derselben Sache dran wie ich«, sagte er deshalb.
Farouk schaltete sofort. »Die Waffenlieferungen.« Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Es gibt immer noch Leute, die ihren Nutzen aus diesem Krieg ziehen, und deshalb seid ihr auch noch hier mit all euren Truppen und Waffen und sterbenden Soldaten.« Mehr sagte er nicht, aber das war auch nicht nötig. Es war kein Geheimnis, dass der Westen den Krieg in Afghanistan längst für verloren erklärt hatte, auch wenn es anders aussehen mochte.
Mayer schrieb seine Handynummer auf einen Zettel und schob ihn über den Tisch. »Du kennst mich, Farouk. Leg ein gutes Wort für mich ein.«
***
Rheintal bei Koblenz, Deutschland
Katja ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken, das Handy noch immer in der Hand. »Frau Rittmer, sind Sie noch da …?«
Sie reagierte nicht. Sie konnte nicht, selbst wenn sie gewollt hätte. Sie presste ihre Stirn gegen den Kunststoff des Lenkrads und wünschte sich, das Gerät in ihrer Hand zu zerdrücken, die Stimme aus ihm herauszupressen und den Moment ungeschehen zu machen. Zu vergessen.
Chris war tot.
Sie sah ihn vor sich, wie er im Krankenhaus im Bett gelegen hatte, und fragte sich unwillkürlich, ob sie seine Beine mit ihm beerdigen würden, oder ob sie sie in Afghanistan zurückgelassen hatten, wo sie auf einem der Müllberge im Staub langsam verwesten.
Das Bild verlor sich, verschwamm, angesichts der Flut der Erinnerungen, die sie überwältigte. Blitzlichter, die sich in einer einzigen Szene verdichteten: Lippen auf ihrer Wange, Finger, die ihr Haar durchwühlten, ein leises Lachen, bevor er ihr die Decke wegzog und »Aufstehen, Soldat!« rief. Einen kostbaren Atemzug lang erfüllte sie wieder die wunderbare Leichtigkeit jenes Morgens, dann brach das Licht, und sie saß wieder in ihrem Wagen, den Kopf auf dem Lenkrad. Allein.
Sie hatte gewusst, dass er sterben würde, trotz aller Versicherungen der Ärzte. Und doch war ein Funken irrwitziger Hoffnung geblieben. Jetzt gab es nur noch Endgültigkeit. Ein unerträgliches graues Nichts. Sie ließ sich zurückfallen auf den Sitz und atmete gegen die Leere an. Das Handy klingelte erneut. Sie ignorierte es.
***
Hamburg, Deutschland
Valerie betrat die Bankfiliale am Rothenbaum und trat an einen der Schalter. »Valerie Weymann«, stellte sie sich vor. »Ich vertrete einen Ihrer Kunden anwaltlich.«
»Worum geht es?«
Valerie sah sich vielsagend um. Hinter ihr wartete bereits der nächste Kunde, direkt neben ihnen füllte jemand eine Überweisung aus. Der Bankangestellte bat sie in ein Büro.
Valerie setzte sich, wartete, bis die Tür geschlossen war, dann öffnete sie ihre Aktentasche. »Es geht um ein Schließfach.« Sie zog Sibylles Vollmacht heraus und reichte sie dem Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches, zusammen mit ihrem Ausweis und ihrer anwaltlichen Zulassung.
Wenig später stand sie im Tresorraum der Bank. Valerie reichte dem Bankangestellten ihren Schlüssel, darauf schloss er die beiden Schlösser auf, zog eine Lade heraus und
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