Die Marionette
Juristin.«
Vombrook lehnte sich vor und suchte ihren Blick. »Ich weiß, dass er dein Mentor war, dass ihr seit fast fünfzehn Jahren zusammenarbeitet. Darum frage ich. Je nachdem, wie deine Antwort ausfällt, reden wir weiter oder wir beenden unser Gespräch an dieser Stelle.«
Valerie musterte ihn nachdenklich. »Du willst Benders Position, aber du willst verhindern, dass er und Meisenberg nachher gemeinsam im Aufsichtsrat sitzen und dir auf die Finger klopfen.«
Vombrook wich ihrem Blick nicht aus. »Und wenn es so wäre?«
»Dann müsstest du jetzt die Grundsteine dafür legen.« Sie stand auf und begann, langsam in dem geräumigen Büro auf und ab zu gehen. »Und von mir willst du wissen, ob ich dich unterstütze oder dir aus alter Treue zu Meisenberg Widerstand leiste.« Sie blieb stehen. »Mit wem bist du noch im Gespräch?«
Vombrook lächelte. »Wir bräuchten einen neuen Justiziar hier im Haus«, bemerkte er, statt ihr eine Antwort auf ihre Frage zu geben.
Valerie schüttelte den Kopf.
»Du solltest mein Angebot nicht vorschnell ablehnen, Valerie.«
»Und du solltest das Fell des Bären nicht verteilen, bevor du ihn erlegt hast«, erwiderte sie. »Du bist noch nicht in der Position, mir deinen Job anzubieten. Noch nicht.«
Vombrook trug seine Niederlage mit einer gewissen Nonchalance. »Es war noch nie fruchtbar, sich mit dir auf Wortgefechte einzulassen, Valerie. Schon während des Studiums nicht.« Seine Anspielung machte Valerie wieder einmal klar, wie klein und eng verzahnt die Hamburger Juristenszene war. Sie hatten alle zusammen im Rechtshaus der Universität studiert, kannten einander seit vielen Jahren, wussten um ihre gegenseitigen Vorlieben und Abneigungen. Einige von ihnen waren Richter geworden, Staatsanwälte, andere waren in die Politik gegangen, wieder andere, wie Vombrook, in die freie Wirtschaft. Als sie ihn jetzt so vor sich sah, erinnerte sie sich, dass er mit Ende zwanzig schon zu einem Bauchansatz und dünnem Haar geneigt hatte. »Meine Tür steht offen, wenn du es dir anders überlegst«, sagte er.
Valerie griff nach ihrer Tasche. »Ich glaube nicht, dass ich das tun werde.«
»Willst du nach
allem,
was war, weiter mit Meisenberg eine Kanzlei führen?«
Valerie runzelte die Stirn. »Wie meinst du das, Andreas?«
Er half ihr in ihren kurzen Mantel. »Wann wird er das nächste Mal versuchen, dich zu erpressen?«
Valerie gab sich nicht die Blöße zu fragen, was er meinte oder woher er die Information hatte. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie lediglich.
Augenblicke später saß sie in ihrem Wagen und blickte vom Parkplatz des Firmengebäudes aus über das glitzernde Wasser der Elbe. Eine Gruppe silbergrauer Möwen stritt sich kreischend um etwas, das im Wasser trieb. Während sie beobachtete, wie einer der Vögel es eroberte und vergeblich damit zu entkommen versuchte, sehnte sie sich das erste Mal seit fünfzehn Jahren nach einer Zigarette. Sie musste schnellstens mit Marc sprechen. Meisenberg hatte anscheinend keine Zeit verloren, seine Erkenntnisse unters Volk zu bringen.
Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte kurz nach elf. Marcs Flugzeug war, wenn es keine Verspätung gegeben hatte, vor einer Viertelstunde in Frankfurt gelandet. Sie nahm ihr Smartphone aus der Tasche und rief ihn an. Nach nur zweimaligem Klingeln ging er ran. Seine Stimme klang müde, wie immer kämpfte er mit dem Jetlag. »Ich bin in knapp zwei Stunden in Hamburg«, sagte er. »Hast du Zeit, mich abzuholen?«
»Natürlich«, versprach sie. »Ich werde da sein.«
Sie fürchtete das Gespräch mit ihm, die Auseinandersetzung. Sie hatte vermieden, darüber nachzudenken, solange sie ihn in Hongkong wusste, ebenso wie sie den Gedanken an Eric vermieden hatte auf ihrer einsamen Rückfahrt von Berlin nach Hamburg. Ihr Abschied war kurz gewesen. Wie jedes Mal.
Marc schien ihre Nervosität, ihre Anspannung nicht zu bemerken, als sie ihn in der Ankunftshalle von Terminal zwei im Hamburger Flughafen begrüßte. Während der Heimfahrt sprachen sie über die Ergebnisse seiner Reise und die Vertragsabschlüsse, die zustande gekommen waren. Es war für deutsche Reeder nicht leicht, auf dem asiatischen Markt Fuß zu fassen. Valerie hatte sich in den vergangenen anderthalb Jahren bisweilen gefragt, ob Marcs unbedingter Fokus auf dieses Ziel auch etwas mit der schwierigen Situation innerhalb ihrer Ehe zu tun hatte. Sie wusste wohl, wie zermürbend es für ihn gewesen war, ihre kühle Distanz und ihre
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