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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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erst eines, dann ein zweites Flugzeug
landen. Die Passagiere traten einzeln oder in kleinen Gruppen
durch die Glastüren, vor denen in der Kälte ein paar
Taxis mit laufendem Motor warteten.
    Vielleicht sollte ich ihren Namen einfach im Telefonbuch
nachschlagen… Ich stand an der Telefonzelle und blickte
auf die Suchseite, als mir bewusst wurde, dass ich ihren
gegenwärtigen Nachnamen nicht kannte. Es dauerte ein paar
Sekunden, bis ich ihren Mädchennamen aus meinem
Gedächtnis hervorgekramt hatte: Godwin. Ich probierte ihn
aus. Erfolglos.
    Ich ließ ein verschlüsseltes Gespräch zu
Annette durchstellen.
    »Hallo, Liebes. Ich bin wohlbehalten
angekommen.«
    Sie lächelte. »Das ist schön. Aber du rufst
aus einem anderen Grund an.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Ich weiß schließlich, wie du denkst,
Jon.« Sie lachte. »Der Name lautet Dawidow. Ich hab
ihn auf der alten Versicherungspolice nachgeschlagen.«
    Ich muss ganz schön belämmert dreingeschaut haben.
Annette streckte mir grinsend die Zunge heraus, ein rosiger
Millimeter auf dem winzigen Monitor. »Ich liebe
dich«, sagte sie. »Sei vorsichtig.«
    Das Bild erlosch. Ich seufzte, denn ich kam mir auf einmal
sehr alt und einsam vor, und rief erneut das Telefonbuch auf.
    Dawidow, Myra G., Leutn.-Kommandant (a. D.), wohnte auf
dem Ignaz Reiss Boulevard, Wohnblock 7, Wohnung 36. Ansonsten war
unter dieser Adresse kein weiterer Dawidow aufgeführt; Myras
Ehe war vor Jahren in die Brüche gegangen. Als mich das Taxi
absetzte, stand ich vor einem klassischen sowjetischen
Plattenbau, der erst kürzlich als eine Art perverser Hommage
an das Mutterland der Arbeiter erbaut worden war, dessen
verfärbter Beton aber bereits zerbröckelte. Ein
einziger Wagen parkte davor, ein großer schwarzer Skoda.
Wahrscheinlich gehörte er Myra: Er wirkte durchaus passend
für eine Volkskommissarin im Ruhestand.
    Der Aufzug funktionierte nicht, was ebenfalls in dieses Bild
passte. Ich schleppte mein Fluggepäck drei Stockwerke hoch.
Die Knie taten mir weh. Es wurde allmählich Zeit für
neue Gelenke. Ich drückte den Klingelknopf und blickte mich
nach einer Überwachungskamera um. Es gab keine. Stattdessen
öffnete sich eine Klappe, hinter der ein in die Tür
eingelassenes Superweitwinkelobjektiv sichtbar wurde. Riegel
quietschten, Ketten klirrten. Die Tür öffnete sich
langsam. Gelbes Licht, schwerer Duft, abgestandener
Zigarettenqualm und laute Musik strömten hervor. Dann langte
jemand heraus und zog mich hindurch. Die Tür fiel hinter mir
ins Schloss, und ich landete in einer warmen, knochigen
Umarmung.
    Nach einer Weile trennten wir uns, die Hände einander auf
die Schultern gelegt.
    »Da bist du also«, sagte Myra.
    Ihr stahlgrauer Bubikopf passte zum stahlgrauen Satin ihres
Pyjamas. Ihr Gesicht hatte den für die postsowjetische
Verjüngungstechnik typischen wächsernen, leninhaften
Glanz, ein scharfer Kontrast zu der altersfleckigen, ledrigen
Haut ihrer Hände. Wie ich und alle Neuen Alten war sie eine
aus Jung und Alt zusammengesetzte Schimäre.
    »Hallo«, sagte ich. »Du siehst gut
aus.«
    Sie lachte. »Du nicht.« Sie streifte mit den
Fingerspitzen über einen Stoppel auf meiner Wange.
    »Nichts, was eine Dusche nicht beheben
könnte.«
    »Also«, sagte sie, mich scharf musternd,
»das ist eine gute Idee.« Sie langte an mir vorbei
und drückte einen Schalter. Aus den Wänden kamen
spotzende, knackende Geräusche. »Es dauert eine halbe
Stunde«, sagte sie und geleitete mich ins Wohnzimmer; der
Boden war mit dicken Teppichen bedeckt, und auch an den
Wänden hingen Teppiche, deren Klötzchenmuster an die
Pixelbilder alter Computerspiele erinnerten und die
traditionellen afghanischen Sujets wie Hubschrauber-MGs, MiGs und
Ak-47 aufgriffen. Dazwischen hingen politische und touristische
Plakate mit historischen Darstellungen und Landschaftsbildern
(die ITWAR fehlte darauf) sowie alte Werbeposter von
Raketenstarts und Atomexplosionen. Zwischen den Postern hing ein
Fernsehschirm, auf dem ohne Ton eine Übertragung des
Bolschoi-Luna-Balletts lief; schwebende Flüge und weiche
Landungen, die unter dem fremdartigen Himmel ganz real wirkten.
Aus den riesigen Sony-Lautsprechern auf dem Bücherregal
dröhnte chinesischer Rock.
    Auf dem Tisch stand ein alter IBM-PC, daneben lagen Myras
Handtasche und ein Stapel Verschlüsselungshandbücher.
Den Titeln nach zu schließen hatte sie ihre Nachricht von
Hand

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