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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Weltraumverteidigung.
Und sie sehen ja, wie sich die Dinge seit der Herbstrevolution
entwickeln. Alles fällt auseinander – das ist die
globale Version des sowjetischen Zusammenbruchs. In ein paar
Monaten oder Jahren werden nirgendwo mehr Raketen starten. Da
heißt es jetzt oder nie, wenn wir eine dauerhafte
Weltraumpräsenz aufbauen wollen. Wir befinden uns in der so
genannten Ressourcenfalle.«
    Zumindest das passte mit meinen eigenen Beobachtungen und
Annettes Vermutungen zusammen.
    »Das beantwortet die Frage nach dem Warum«, sagte
ich. »Aber ich habe nach dem Wer und dem Wie gefragt. Nicht
einmal die WV konnte die Welt ohne Bodenunterstützung
beherrschen, und jetzt, da die nicht mehr vorhanden oder
zersplittert ist…«
    »Ich hab’s dir gesagt«, wisperte sie.
»Mehr konnte ich dir in der mir zur Verfügung
stehenden Zeit nicht mitteilen. ›Es geht zu
schnell‹, erinnerst du dich? Nanotech. Damit kann
man Raumschiffe bauen, nicht bloß große, plumpe
Raketen, sondern richtige Schiffe, die so leicht und
antriebsstark sind, dass sie mühelos auf
Fluchtgeschwindigkeit kommen.« Sie ließ die flache
Hand emporsteigen. »Wusch. Die verfügen über AIs,
die Laserstartrampen steuern und die Schiffe auf einem
haardünnen Strahl überhitzten Wasserdampfs
emporbefördern können. Und wenn man über Nanotech
verfügt, dann braucht man bloß ein solches Teil, um
beliebig viele herzustellen. Man kann sie züchten wie Bäume!«
    Ich zuckte im herabströmenden Wasser die Achseln und
streifte ihr geistesabwesend mit dem Schwamm über die
knochigen Hüften.
    »Wenn man dies alles hat, braucht man nicht die Welt zu
regieren. Man braucht sie bloß zu retten.«
    Myra schüttelte den Kopf und verspritzte Wassertropfen.
»Die wollen die Welt nicht retten und glauben auch nicht,
dass sie gerettet werden will. Ach, Jon, du hast dich mit all
diesen Humanisten und Anarchisten herumgetrieben und weißt
einfach nicht, mit welcher Bitterkeit und Verachtung die
wissenschaftlich-technische Elite auf die unwissenden Massen
herabblickt! Deshalb haben sie mich ja auch rausgeschmissen, als
ich nach der Herbstrevolution von alldem erfuhr und daraufhin
Krach schlug. Sie beschimpften mich als Populistin und…
und Revisionistin!« Sie lachte. »Jahrelang haben sie
unter den UN-Bürokraten und den Stasis-Cops zu leiden
gehabt, und jetzt wollen sie mit diesen Leuten nie wieder zu tun
haben. Sie glauben wirklich, wenn ihre Absichten publik
würden, käme es zu einem Sturm auf ihre Labors, die
Demagogen würden abermals die Regierungen zusammenbrechen
lassen, und alles wäre aus.«
    Ich frottierte ihr gerade die Beine ab, aber jetzt schaute ich
hoch. »Da könnten sie Recht haben.«
    »Sag das nicht! Das erzählt Reid mir schon seit
Jahren!«
    Ich richtete mich auf und wäre beinahe auf dem nassen
Boden der Duschkabine ausgerutscht.
    »Reid?«
    »Pst. Ja, ich dachte, du wüsstest davon. Er steckt
hinter alledem, und er hat das Ganze seit langem geplant. Ich
glaube, er hätte es sogar dann getan, wenn keine Revolution
stattgefunden hätte, aber so wie es aussieht, drückt er
stärker aufs Tempo als je zuvor. Die Gesellschaft für
Wechselseitigen Schutz und die verdammten privatisierten Gulags
sind die treibende Kraft, und er ist der Schlimmste von allen. Er
denkt über die Freiheit so, wie du manchmal darüber
geschrieben hast, aber bei ihm ist es absolut. Keine Ethik, keine
Politik. Sogar die Wissenschaftler haben Angst vor
ihm.«
    Das konnte ich mir vorstellen. Seit er aufgehört hatte,
Kommunist zu sein, hatte Reid sich allein von seinen Interessen
leiten lassen. Das galt auch für mich – der Hüter
seines Bruders sein zu wollen, betrachtete ich nach wie vor als
Erbsünde, doch an zielstrebiger Entschlossenheit konnte ich
es mit Reid in dieser Hinsicht nicht aufnehmen.
    Der Strahl der Dusche versiegte bis auf ein Tröpfeln.
    »Und was machen wir jetzt?«
    Myra sah mich an. »Ich weiß, was ich machen
will«, sagte sie mit einem durchtriebenen Lächeln. Sie
senkte den Blick. »Du meine Güte – macht dich
diese Unterhaltung etwa an?«
     
    Auf dem winzigen Raum, den Myras großes Bett übrig
gelassen hatte, trockneten wir einander ab und führten die
Unterhaltung anschließend bei lauter Musik unter der
Bettdecke fort. Sie erzählte mir, was sie tun wollte, wir
taten es, und dann lagen wir uns mit verschränkten Beinen
gegenüber und redeten über schmutzige Politik. Wir

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