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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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tuschelten unter der Steppdecke wie Kinder nach dem
Lichtausknipsen.
    Hätten wir die Vorgänge lediglich publik gemacht,
hätte dies womöglich genau die Folgen gezeitigt, die
Reids Faktion fürchtete. Ließen wir sie gewähren,
mochte dies eine chaotische und blutige Zersplitterung der
Menschheit nach sich ziehen, verstreut zwischen kleinen,
weltraumstationierten Minderheiten und einer erdgebundenen
Mehrheit, die aller Wahrscheinlichkeit nach von antitechnischen,
paranoiden Führern beherrscht würde. So oder so, die
Aussichten auf eine zivilisierte Zukunft waren trübe.
    Myra behauptete, es gäbe noch eine weitere
Möglichkeit: Man könnte die von ihr als
›legitim‹ bezeichnete Weltraumbewegung zu genau den
gleichen Dingen bewegen, die auch Reids Gruppe anstrebte –
freier Zugang zu den von der UN und dem wissenschaftlichen
Untergrund entwickelten Technologien, zu einer großen
Anstrengung, das Weltraumprogramm zu bündeln –, jedoch
offen und auf freiwilliger Basis, finanziert durch Spenden
anstatt mittels Erpressung. Indem man alles publik machte und
öffentlich diskutierte. Dies sei der einzige Weg, die
Zweifel auf beiden Seiten zu zerstreuen: Man müsse den
Technologen klar machen, dass die Menschen die Früchte ihrer
Arbeit wirklich ernten wollten, dass sie tatsächlich
dafür bezahlen würden. Die normale Bevölkerung
müsse einsehen, dass die Tiefentechnologie nicht die Absicht
habe, die Biosphäre in bakterienkleine Robots oder sie
selbst in Maschinen zu verwandeln oder womit man ihnen sonst noch
Angst gemacht hatte.
    »Und du«, sagte sie, »du bist der einzige
Mensch, den ich kenne, dem ich das zutraue.«
    »Ich? Sie schmeicheln mir, Lady.«
    »Du verfügst über die Kontakte, die
Glaubwürdigkeit…«
    »Bei den Kadern der Weltraumbewegung bin ich nicht mehr
sonderlich beliebt«, sagte ich. »Um die Wahrheit zu
sagen, glaube ich, dass die meisten bereits so denken, wie deiner
Schilderung nach Reids Gruppe.«
    Es gab nur eine Möglichkeit, die Anhänger der
Bewegung gegen deren Organisatoren zu mobilisieren, und die
bestand darin, den Plan, wenn es denn einen gab, publik zu
machen, doch das sagte ich nicht. Ich lag im dunklen Zelt der
Steppdecke und schaute Myra ins Gesicht, während mir
Gedanken durch den Kopf gingen, von denen ich hoffte, dass sie
mir nicht anzusehen waren. Vor allem glaubte ich nicht, dass sie
mir die Wahrheit gesagt hatte.
    »Lass uns essen gehen«, schlug ich vor.
     
    Wir speisten in einem kleinen griechischen Restaurant um die
Ecke.
    »Wieso gibt es hier Griechen?«, fragte ich,
während ich an heißen Souvlakia knabberte.
    »Sie sind den Tataren hierher gefolgt, als diese
heimkehrten«, erklärte Myra.
    »Das ist eine Menge Geschichte«, meinte ich.
    »Ja«, sagte Myra. Sie blickte sich um.
»Lassen wir’s dabei bewenden.«
    Wir tranken guten Wein und einen höllisch scharfen
Schnaps. Myra redete über unbedenkliche, unkontroverse
Themen, zum Beispiel darüber, dass ich schuld sei am
Zustand der Welt.
    »Hättest du den Deutschen die Option
verkauft«, erklärte Myra, »dann hätten die
Scheißisraelis« – für Myra gehörten
diese Begriffe zusammen – »sich das niemals getraut,
und die Yanks wären niemals an die Macht gekommen,
und…«
    »Und so weiter.« Ich lachte. »Ich bitte
dich. Es gab bestimmt Dutzende von Leuten, die sich in der
gleichen Lage befanden wie ich und die die gleiche Entscheidung
getroffen haben.«
    »Ja, aber die brauchten alle ihre Bomben. Du nicht. Du
hast sie bloß aus Prinzip behalten.«
    »Das stimmt nicht! Ich habe noch nie eine Entscheidung
aus Prinzip getroffen! Ich bin Opportunist und bin stolz darauf.
Und außerdem, weshalb hast du ihnen die Abschreckung nicht
einfach gewährt und das Vertragliche anschließend
geregelt?«
    Myra grinste mich an und zuckte die Achseln.
    »Das wäre schlecht fürs Geschäft
gewesen.«
    Ich erwiderte ihr Grinsen.
    »Das war auch mein Beweggrund.«
    Wir waren bei Honigkuchen, Kaffee und dem letzten Schluck Ouzo
angelangt. Myra stocherte und leckte und nippte. Dann hielt sie
inne und grinste, als sei plötzlich eine Erleuchtung
über sie gekommen.
    »Ich hab’s«, sagte sie. »Ich
hätte es besser wissen müssen, als Einzelne
verantwortlich zu machen. Die ganze gottverdammte Scheiße
ist die Schuld des…«
    »Kapitalismus!«, sagte ich laut, und der Ober kam
mit der Rechnung herbeigeeilt.
     
    In ihrer Wohnung schlüpften wir wieder ins

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