Die Mars-Stadt
hatte. Ihr musste ebenso klar sein wie mir, dass ich
nach meiner sicheren Rückkehr ihre Story ungeachtet der
damit verbundenen Risiken publik machen würde.
Daraus folgte, dass sie und der Sicherheitsapparat der ITWAR
eben dies wollten – und dass sie dem Apparat sehr
wohl noch verbunden war. Somit war ihre Behauptung, die kleine
Republik sei von einer mit Reids Firma in Verbindung stehenden
Gruppierung übernommen worden, falsch. Wahrscheinlicher
schien mir, dass die Staatsführung sich gegen eine
(zweifellos drohende) Firmenübernahme zur Wehr setzen und
meine in der besten Absicht vorgebrachten Enthüllungen als
politischen Vorwand (beziehungsweise nachträgliche
Rechtfertigung) für Gegenmaßnahmen benutzen
wollte.
Was immer da vorgehen mochte, ob nun die Firma oder der Staat
zuerst zugeschlagen hatte, ich wollte mich auf keinen Fall mit
hineinziehen lassen. Außerdem glaubte ich nicht, dass sich
der Bedrohung durch Reids Technokraten mit einer politischen
Kampagne beikommen ließe. Meiner Einschätzung nach
bestand der einzige Ausweg darin, die ganze Geschichte dem
einzigen Staat zu unterbreiten, der rasch reagieren konnte und zu
dessen Absichten ich etwas mehr Zutrauen hatte als in die
übrigen infrage kommenden Staaten, nämlich der
umliegenden Republik Kasachstan.
Und deshalb fuhren wir jetzt zwischen meterhohen
Schneewänden einher, während der Schnee auf der
Fahrbahn bereits zentimetertief war.
Myra versuchte ein paarmal, eine Unterhaltung in Gang zu
bringen, und flehte mich an, meine Absichten kundzutun, worauf
ich jedes Mal in möglichst barschem Ton erwiderte, sie solle
die Klappe halten. Ich wollte ihr Angst einjagen, sie aus dem
Gleichgewicht bringen; sie sollte glauben, ich sei fähig,
sie zu erschießen. Was ich gewiss nicht war, aber ihr
fester Glaube, ich sei es, sollte dazu beitragen, ihr
Schwierigkeiten zu ersparen, ganz gleich, welche Seite siegen
würde.
Nach kaum einer halben Stunde war die Grenze nur noch wenige
Minuten Autofahrt entfernt. Als der Wagen eine mit Gestrüpp
bestandene Anhöhe erklommen hatte, konnte ich durch den
Schneefall hindurch die Lichter des kasachischen Grenzpostens
erkennen. Und einen Moment später dreihundert Meter voraus
eine Reihe von Männern in hellgelben Schutzanzügen und
mit großen schwarzen Gewehren, die uns bedeuteten, wir
sollten anhalten.
»Die Gesellschaft für Wechselseitigen
Schutz«, sagte Myra mit einem bitteren Auflachen.
»Und was jetzt, du Klugscheißer?«
»Halt an«, sagte ich ruhig. »Wende den Wagen
und steig mit erhobenen Händen aus.«
Ich blickte in ihr verblüfftes Gesicht, und während
sie bremste, setzte ich hinzu: »Falls du dir das
zutraust.«
»Schon okay«, sagte sie.
Sie war eine gute Fahrerin. Sie bremste gerade scharf genug,
dass das Wagenheck herumschleuderte und sich die Schnauze in die
Schneewehe bohrte.
Ich öffnete die Beifahrertür, ließ mich mit
Jackett und Waffe hinausfallen und arbeitete mich durch den
schmierigen, sandigen Schnee hindurch, wobei ich darauf achtete,
dass sich der Wagen zwischen mir und den Wachposten befand. Ich
robbte auf Knien und Ellbogen voran, bis die zum Wagen
vorrückenden Soldaten mich passiert hatten. Ich hörte
Myras erhobene, offiziöse, protestierende Stimme und hoffte,
dass sie ungeachtet dessen, was sie von meiner Flucht halten
mochte, bestimmt nicht wollen würde, dass ich ihren Gegnern
in die Hände fiel.
Ich kroch weiter und hielt mich möglichst nahe am
Schneewall. Von den Steinen schrammte ich mir Handflächen,
Ellbogen und Knie auf. Mit jeder Sekunde strömte die
Wärme aus meinem Körper. Als ich es nicht mehr
aushielt, nahm ich Sprinterhaltung ein. Die Lichter des
Grenzpostens waren einen halben Kilometer entfernt. Ich blickte
mich um. Die Männer untersuchten den Wagen, und Myra machte
eine Menge Stunk.
Ich begann zu laufen. Zunächst rannte ich geduckt, doch
das hielt ich nicht lange durch. Ich richtete mich auf und rannte
einfach drauflos. Ich hatte das Gefühl, mir würden
glühende Schwerter in die Seiten gerammt. Ich schwor mir,
nie wieder zu rauchen.
Dann bekam ich einen Stoß gegen den Rücken, sah das
Blut aus meiner Brust spritzen und folgte dem roten Bogen in den
Schnee, als wollte ich die Tropfen einholen.
Ich lag auf dem Rücken und blickte in einen weißen
Himmel auf. Über mir schwebte ein phantastisches Flugobjekt,
ein Diamantenschiff: facettiert, funkelnd, das zarte, weiße
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