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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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vor, dass ich etwas rief. Ich ließ den Vorgang
wieder und wieder im Geiste ablaufen, wie ein schüchterner
Junge auf fremdem Boden. Indem ich mich gleichzeitig selbst
beobachtete, bemerkte ich schließlich an meinem Rumpf eine
kleine Antennenschüssel, die jedes Mal, wenn ich den anderen
Robot ansah und mir vorstellte, ihn anzurufen, in die gleiche
Richtung zeigte.
    Also sah ich ihn an und sagte: »Hallo!« Ich
spürte, wie sich meine Lippen bewegten, ein
verstörendes Gefühl, das die groteske Vorstellung einer
Maschine mit einem Mund heraufbeschwor.
    »Hab dich verstanden, Jay-Dub«, antwortete die
Stimme. »Hi. Halt die Verbindung. Sie mögen’s
nicht, wenn wir uns bei der Arbeit unterhalten. Freut mich, dass
du wieder auf dem Damm bist.«
    Ich versuchte zu lachen.
    »Ich glaube, ich bin ein paarmal
abgestürzt.«
    »Ja«, meinte die andere Maschine. »Ist uns
allen so gegangen. Ich bin jetzt seit gut einem Jahr dabei, also
hab ich’s wohl gepackt. Ich komm damit klar.«
    »Weshalb hast du mich Jay-Dub genannt?«
    Unwillkürlich schloss ich vom Klang der Stimme auf das
Geschlecht des Sprechers. »Das steht auf deinem
Rumpf«, sagte er. »Und so hast du dich auch selbst
immer genannt. Ich bin Eon Talgarth, aber du kannst mich
›ET‹ nennen, wenn dir das lieber ist.«
    »Ist gut«, antwortete ich spontan. Wir mussten
beide lachen.
     
    Wir führten unsere Unterhaltung während der Arbeit
fort. Talgarth machte mich mit den anderen Maschinen bekannt,
jede mit eigenem Namen (oder eigenen Initialen) und eigener
Persönlichkeit. Die meisten waren männlich – oder
jedenfalls männlicher Herkunft –, was nicht
verwunderte, da es sich überwiegend um ehemalige Kriminelle
oder Kriegsgefangene handelte. Ich vermutete, dass ich guten
Grund hatte, meinen wahren Namen für mich zu behalten,
deshalb blieb die Bezeichnung ›Jay-Dub‹ an mir
haften.
    Talgarth hatte eine Strafe für ein Vergehen abgearbeitet,
dessen genaue Umstände ich nie ergründete – sein
Vorname stammte von seinen Neusiedlereltern, der Nachname von der
Talgarth Road in London. Das war sein Revier gewesen. Dann hatte
es Streit deswegen gegeben, und er war in einem Arbeitslager in
Sutherland gelandet. Als sich die Lager mit den
US/UN-Kriegsgefangenen füllten, wählte man ihn zum
Kalfakter aus, wodurch sich seine Strafe halbierte. Als man ihm
die erstaunliche Möglichkeit eröffnete, unsterblich zu
werden, willigte er ein. Wo er anschließend gewesen war,
wusste er entweder nicht oder sprach nicht darüber. Das
letzte, woran er sich erinnerte, war die Vibration des
leichten Maschinengewehrs, das er auf die Barbaren abfeuerte,
welche das Startgelände zu stürmen versuchten. In der
Ferne sah er Sand, Gras und das Meer. Die Hitze war wie ein
feuchtes Handtuch. Es könnte Florida gewesen sein.
    Hier gab es weder Tag noch Nacht, doch für mich war der
Arbeitstag beendet. Ich trat aus dem Rahmen heraus und stellte
fest, dass meine simulierten Muskeln schmerzten. Das Bett war
gemacht, auf dem Tisch lag eine Packung Zigaretten. Die
Nahrungsmittel im Schrank waren ersetzt worden: nichts
Besonderes; Fertiggerichte für die Mikrowelle, aber nach
meinem Geschmack. Ich duschte und machte mir etwas zu essen,
während ich überlegte, mit welchen subtilen
Vorgängen in der Software diese Neuerungen wohl einhergehen
mochten. Dann legte ich mich aufs Bett.
    Wie angekündigt, kam der schwarzhaarige Sukkubus zu mir.
Er war unermüdlich, unersättlich und einfallsreich. Und
ich ebenfalls, und zwar in einem solchen Maße, dass es
bestimmt nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
    Aber zum Teufel mit der Realität!
     
    »He«, sagte Talgarth. »Hat’s dir
gefallen? Dann warte mal, bis du in den Makro kommst,
Mann.«
    »Halt den Mund«, sagte jemand.
    »Okay. Mist.«
    Aber sie redeten trotzdem darüber. Ich konnte ihrer
Unterhaltung nicht folgen, aber sie war obsessiv, detailreich,
das Gefasel von Süchtigen. Die Trips waren ihr ganzer
Lebensinhalt. Mit zehn Tagen Arbeit verdiente man sich einen
Besuch im Makro. Ein paar Tage später beobachtete ich, wie
Talgarth zu arbeiten aufhörte und wartete, während ein
Makro auf ihn zuschwebte. Ein Pseudopodium aus intelligenter
Materie streckte sich zu ihm aus und berührte seinen Rumpf.
So verharrte er zehn Sekunden lang, nicht länger.
    Talgarth machte sich wieder an die Arbeit und sprach mich
für den Rest des Tages nicht mehr an. Andere hatten mich
gewarnt,

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