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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Die meisten von euch gehören natürlich zu
den Toten, sind aber im Gegensatz zu der großen Mehrheit
der Toten in einem gewissen Sinne noch am Leben. Euer
Bewusstsein, eure Persönlichkeit, hat sich weiterentwickelt
und, wenn ihr mich fragt« – er lächelte –,
»seit eurem Tod gebessert. Des Weiteren verfügen wir
nicht bloß über die in der Bank gespeicherten
Informationen – das habe ich nachgeprüft –,
sondern auch über genetisches Material, tiefgefrorene
Körperzellen. Im Laufe der nächsten Monate und
Jahre…«
    Er legte eine Pause ein. Wir beugten uns alle ein wenig
vor.
    »Was den Kalender betrifft, müssen wir uns etwas
überlegen«, sagte er leichthin. Alle lachten.
    »Okay, die gute Nachricht ist, dass wir in der Lage sein
werden, euch in die Klone eurer eigenen Körper hochzuladen.
Was die Sukkubi betrifft, so könnt ihr den Körper frei
wählen, wenngleich ich empfehlen würde, euch für
den zu entscheiden, nach dessen Vorbild ihr gestaltet wurdet,
damit…«
    Der Rest seiner Äußerung ging im frenetischen
Applaus unter. Zu meiner Verwunderung ertappte ich mich dabei,
dass ich ebenfalls aus Leibeskräften brüllte, Meg
umarmte, Fremden auf den Rücken klopfte und in die
imaginäre Luft sprang.
    Schließlich beruhigte sich die Menge wieder. Ich
verstand allmählich, weshalb Reid dieses Spektakel
veranstaltete, anstatt uns individuell anzusprechen – er
wollte ein Ereignis kreieren, das sich ins allgemeine
Gedächtnis einprägen würde. Dies war seine
Ansprache – an die versammelten Massen, dachte ich
belustigt – nach der Revolution, der geschichtliche
Nullpunkt der neuen Welt.
    Etwas, wovon man seinen Enkeln erzählen konnte.
(Flüchtig dachte ich voller Besorgnis an die
zukünftigen Nachkommen, deren Mütter sich weder an eine
Kindheit noch an eine eigene Mutter erinnern würden. Die
Kontinuität der Fürsorge, die buchstäblich bis ins
Prähumane zurückreichte, würde durchbrochen
werden. Reid gründete nicht bloß eine neue Welt,
sondern eine neue Spezies, wahre Neumarsianer.)
    »Nun zu den Toten. Viele von uns – das weiß
ich – haben unter ihnen Freunde oder Menschen, die ihnen
nahe standen, und können es gar nicht erwarten, sie
wiederzusehen. Und das werden sie auch, doch es wird einige Zeit
dauern. Klone rasch zur Reife zu bringen und ihren Gehirnen eure
Erinnerungen und eure Persönlichkeit aufzuprägen, ist
mit der vorhandenen Technik möglich. Die Körper und
Persönlichkeiten der Toten aus der intelligenten Materie
wiederzuerwecken, in der sie gespeichert sind, ist hingegen nicht
möglich. Dies geht nur mithilfe der Schnelldenker, deren
gespeicherte Strukturen als Erstes wiederbelebt werden
müssten…«
    Die Menge reagierte mit einem Laut, wie ich ihn nochnie
gehört hatte: ein schweres Seufzen, ein Zähneknirschen,
ein Füßescharren – ein kollektives Knurren. Auch
diesmal wieder nahm ich zu meiner Verwunderung daran teil: Beim
Gedanken an die makroorganischen Monster, die mich monatelange
eingekerkert hatten, sträubten sich mir die imaginären
Haare. Dennoch hatte ich im Laufe dieser Monate, die mir nicht
wie Monate vorgekommen waren, etwas gelernt. Etwas
Entscheidendes, das mir bloß nicht einfallen wollte. Reid
setzte seine Rede fort und unterbrach meine wirren
Gedankengänge.
    »Ich spreche natürlich von den Grundlagen der
Schnelldenker – den posthumanen künstlichen
Intelligenzen –, wie sie zu Anfang waren, nicht von den
bizarren Wesenheiten, zu denen sie sich entwickelt haben.
Gleichwohl bin auch ich der Meinung, dass das Risiko zu
groß ist. Wir müssen darauf hinarbeiten, ihre
Entwicklung zu kontrollieren oder zumindest einzudämmen. Das
Gleiche gilt für alle Formen künstlicher Intelligenz,
die imstande sind, sich weiterzuentwickeln. Wir werden es
schaffen. Der Tag wird kommen, da wir die Singularität
beherrschen werden, so wie wir gelernt haben, das Feuer zu
beherrschen, den Blitz am Himmel und das atomare Feuer der
Sterne! Doch bis dahin werden sie im Speichermedium verbleiben,
und mit ihnen werden auch… die Toten schlafen.«
    Wir alle seufzten erleichtert und voller Bedauern.
    »Bis zu diesem Tag«, fuhr er fort, »sitzen
wir hier fest. Unser Kurs durch das Malley Mile, das uns zu
dieser Welt und nicht an einen unwirtlicheren Ort geführt
hat, wurde von einigen Schnelldenkern berechnet, die dem
allgemeinen Wahnsinn entgangen sind. Jedenfalls bis jetzt. Im
Moment können wir

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