Die Mars-Stadt
ich etwa das Risiko eingehen, getötet zu
werden?« Ax bricht in schallendes Gelächter aus.
»Hältst du mich etwa für blöd?«
»Nein.« Dee schenkt ihm (jetzt, da sie
herausgefunden hat, dass dies die einzig mögliche Beziehung
zu ihm ist) ein freundliches, schwesterliches Lächeln und
hört auf, ihn zu bemitleiden. Wahrscheinlich kommt er gar
nicht so schlecht zurecht. Ein verrücktes Huhn, geht ihr
durch den Sinn, und als sie aufstehen und gehen, lässt sie
den mürrischen Wissenschaftler in alten Datenbanken danach
forschen, was, zum Teufel, eigentlich ein Huhn ist.
»Und so bin ich auf das Schiff gekommen«, sagte
Wilde. Er stützte sich auf einen Ellbogen auf und blickte
sich im Zimmer um, in dem er seit zehn Minuten wach lag.
»Guten Morgen«, sagte die Maschine. Sie ruhte in
der Ecke auf dem Boden. Das Zimmer lag in einem Obergeschoss des
Malley Mile, war sehr billig und mit einem Waschbecken, einem
Stuhl und einem Bett ausgestattet. Dank der über den Boden
wuselnden kellerasselgroßen Automaten war es bemerkenswert
staubfrei.
Wilde blickte die Maschine an. »Was hast du die ganze
Nacht über gemacht?«
»Dich bewacht«, antwortete die Maschine. Sie
streckte die Gliedmaßen, faltete sie wieder zusammen.
»Die Netzwerke der Stadt gescannt.
Geträumt.«
Wilde musterte die Maschine mit jäher unbekümmerter
Neugier. »Ich wusste gar nicht, dass Maschinen
träumen.«
»Ich erinnere mich auch an alte Zeiten«, sagte die
Maschine. »Wenn Zeit dazu ist.«
Wilde grinste säuerlich. »Ich nehme an, du hast
jede Menge Zeit, wo du doch so viel schneller
denkst…«
»Nein«, widersprach die Maschine. »Das habe
ich dir doch schon erklärt. Ich bin ein
Humanäquivalent. Meine subjektive Zeit entspricht der euren.
Die Datenübertragung funktioniert zwar schneller als bei
euch, die Bewusstseinsvorgänge, die sie steuern, laufen
jedoch mit der gleichen Geschwindigkeit ab.«
»Tatsächlich?« Wilde erhob sich aus dem Bett,
sah mit einem Anflug von Verwunderung an sich hinunter,
lächelte, wusch sich Gesicht und Hals und kleidete sich
an.
»Sag mal, Maschine«, meinte er, als er die Stiefel
anzog, »wie soll ich dich eigentlich nennen? Und wo wir
gerade dabei sind, was bist du eigentlich?«
»Im Wesentlichen«, antwortete der Robot,
löste ein Kabel und wickelte es in der Wandhalterung auf,
»bin ich ein Bauroboter für den Tiefbau, autonom,
nuklearbetrieben, sandresistent. Und was meinen Namen
angeht…« Er stockte. »Du kannst dir einen
aussuchen, aber man pflegte mich Jay-Dub zu nennen.«
Wilde lachte. »Das ist klasse! Das mach ich.«
»Jay-Dub geht in Ordnung«, sagte die Maschine.
»Das ist nicht würdelos. Danke, John Wilde.«
»Also, Jay-Dub«, sagte Wilde mit einem verlegenen
Lächeln, »lass uns frühstücken.«
»Das kannst du gerne machen«, meinte Jay-Dub. Er
entfaltete die Gliedmaßen und erhob sich, wobei verstreute
Folienhüllen mit reglosen Beinchen und stumpfen Linsen
sichtbar wurden. »Ich habe bereits gespeist.«
Im Malley Mile war kein Betrieb, die Bar war geschlossen,
geputzt, gewienert, poliert und mit feuchten Tüchern
verhängt, als sie nach unten kamen und durch die nur von
innen zu öffnende Tür ins Freie traten.
»Vertrauenerweckend«, bemerkte Wilde und
ließ die Tür ins Schloss gleiten.
»Das ist ein ehrbares Lokal«, meinte Jay-Dub.
»Kaum Kleinkriminalität. Aus Gründen, die dir
bekannt sein dürften.«
Die kleine Sonne stand tief über den Türmen und
überzog die Straße mit einem Schattenmuster. Boote und
Lastkähne glitten den Kanal entlang, hinaus aus der
Stadt.
»Wo wollen die alle hin?«, fragte Wilde. Der
Mensch und der Robot spazierten zu einem etwa hundert Meter
entfernten Kai. Darauf waren Imbissbuden zu sehen.
»Zu den Minen und Farmen«, antwortete der Robot.
»Dazwischen liegt kein großer Unterschied. Beide
setzen Nanotechnik natürlichen oder künstlichen
Ursprungs ein, um verteilte Moleküle in eine nutzbare Form
zu bringen.«
»Und dort arbeiten Menschen? Was machen denn die
Robots?«
»Ha-ha-ha.« Jay-Dubs Stimmbeherrschung hatte sich
verbessert: Mittlerweile konnte er ein mechanisches Lachen
parodieren. »Robots sind für diese Zwecke entweder
nutzlos oder zu nützlich, um sie dafür
einzusetzen.«
Auf dem kleinen Kai herrschte reger Betrieb. Die Leute –
größtenteils Menschen, doch es waren auch andere
hominide Typen zu sehen – gingen gerade an Bord oder luden
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