Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
mich geschossen wurde. Mein Gehirn wurde
augenblicklich vom Prototyp eines Neuralscanners abgetastet und
das Muster gespeichert.«
    »Ach, komm schon«, sagte Wilde. »So was
gibt… gab es damals nicht.«
    »Reids Leute hatten so ein Gerät. Sie waren weiter
fortgeschritten, als man glaubte. Und ich war der Erste.
Jedenfalls der erste Mensch. Ich glaube, die meisten
intelligenten Affen hier stammen von den ersten Experimenten aus
jener Zeit her. Jedenfalls schlug ich viele Jahre später
– deren Verstreichen ich subjektiv natürlich
mitbekommen hatte – die Augen auf und fand mich in einem
phantastischen Raumschiff wieder. Komfortabel, normale
Schwerkraft, doch als ich nach draußen sah, war keine
Rotation oder Beschleunigung festzustellen. Natürlich befand
ich mich in einer virtuellen Realität. Das, was jenseits der
Luken lag, war real.«
    Der Robot stockte. Eine Minute verstrich. Der Mann klopfte mit
den Knöcheln gegen die Flanke der Maschine. Dann saugte er
an den Knöcheln.
    »Und was hast du draußen gesehen?«
    »Ganymed, glaube ich«, antwortete der Robot.
»Das, was davon übrig war. Die Maschine, in der ich
mich befand, war nicht viel größer als das, was du
jetzt vor dir siehst. Sie war mit Tausenden gleichartigen
Maschinen am Bau einer Plattform beteiligt. Im Umkreis der
Jupiterringe waren andere Maschinen mit ähnlichen Aufgaben
beschäftigt.«
    Abermals verstummte er.
    »Die Jupiterringe?«, fragte Wilde.
»Da war aber jemand fleißig.«
    »Rate mal wer.«
    »Reid?«
    »Und Konsorten.«
    »Das haben sie geschafft? Wann?«
    »2093.«
    Wilde öffnete die Augen und blickte über den
Kanal.
    »Ich nehme an«, sagte er, »dass die Menschen
und die Humanäquivalentrobots das nicht aus eigenem Antrieb
machten.«
    »Natürlich nicht. Zwischen den Plattformstreben
befanden sich riesige Wesenheiten, die wir Makros nannten. Sie
bestanden aus Nanomaschinen und waren die Hardwareplattform
für Millionen Bewusstseine. Die Leute hier bezeichnen sie
jetzt als ›Schnelldenker‹. Damals waren sie den
Menschen weit voraus, und sie bauten ein Wurmloch – durch
dieses Loch ist dein Schiff hierher gekommen.«
    »Wo sind sie jetzt?«
    »Ah«, meinte Jay-Dub. »Eine gute Frage. Die
vom Jupiter haben, wenn man so will, das Interesse an der
Außenwelt verloren. Die Urformen, aus denen sie sich
entwickelt haben, den Quellcode, wenn du so willst, haben wir
zusammen mit den gespeicherten Bewusstseinen und den codierten
Körpern der Toten mitgebracht.«
    »Mich eingeschlossen?«
    »Ja, sicher. Dein ursprünglicher Körper war
nicht codiert, so viel ich weiß. Es gab eine Gewebeprobe,
mittels derer du später… mittels derer ich dich
geklont habe. Dein Bewusstsein wurde codiert, wie ich bereits
sagte.«
    »Unabhängig von deinem?«, fragte Wilde
verwundert.
    »Mein Bewusstsein und deins sind jeweils eine Kopie
desselben Originals«, sagte Jay-Dub. »Ich erwachte in
dieser Maschine in der gleichen Geistesverfassung und mit den
gleichen Erinnerungen wie gestern du. Und zwar unter weniger
günstigen Umständen.«
    »Mir blutet wirklich das Herz«, meinte Wilde.
    »Meine unglaublich hoch entwickelte Software registriert
ein gewisses Maß an Feindseligkeit.« Die Maschine war
um einen ironischen Tonfall bemüht, der offenbar
außerhalb ihrer Möglichkeiten lag.
    »Das hoffe ich doch«, sagte Wilde. »Du hast
eben eingeräumt, ein Klon sei etwas anderes als ein
gespeichertes Bewusstsein. Wenn ich hier also einen Bekannten
treffe, dann bedeutet das nicht automatisch, dass sich die
betreffende Person tatsächlich hier aufhält, hab ich
Recht?«
    »Im Prinzip ja, aber…«
    »Dann hast du also gelogen, als du sagtest, es
bestünde Anlass zur Hoffnung, dass Annette, wie du dich
ausgedrückt hast, unter den Toten war?«
    »Nein«, erwiderte die Maschine. »Es
bedeutet, die Möglichkeit besteht.«
    Wilde schüttelte den Kopf.
    »Je länger ich darüber nachdenke«, sagte
er, »desto größer werden meine Zweifel. An
Kryonik, ans Uploaden oder ähnlichen Scheiß hat sie
nie geglaubt. Wenn sie überhaupt an etwas glaubte, dann an
die allgemeine Wiederauferstehung am Ende der Zeit, am
Omega-Punkt.«
    »Und diesen ganzen Scheiß«, meinte
Jay-Dub.
    Wilde lachte. »Glaubst du das noch immer? Also, ich
verneige mich vor deiner größeren
Erfahrung.«
    Die Maschine bewegte sich leicht. »Das Ende der Zeit mag
näher sein, als du denkst, und schlimmer, als du dir
vorstellen

Weitere Kostenlose Bücher