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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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kannst.«
    »Was meinst du damit?«
    »Es wäre mir lieber, du kämst selbst
darauf«, sagte Jay-Dub. »Alles, was ich dir
darüber sagen kann, würde deine Skepsis bloß
verstärken. Allerdings verleiht es unserer Aufgabe
zusätzliche Dringlichkeit.«
    »Unserer Aufgabe?« Wilde hätte beinahe
geschrien. »Wieso ›unserer‹? So wie ich es
sehe, bin ich nicht Jon Wilde. Ich besitze seine Erinnerungen,
und mein Körper entspricht dem seinen im Alter von zwanzig
Jahren.« Er steckte sich eine neue Zigarette an und hustete
lächelnd. »Mit zwanzig fühlen wir uns alle
unsterblich. Aber wenn jemand behaupten kann, er sei
tatsächlich Wilde, dann du. Du kannst seine Versprechen
einlösen, seine Schlachten schlagen. Du erinnerst dich
bestimmt noch an die Diskussionen, die du in betrunkenem Zustand
mit Reid geführt hast, wo es um Klons und das Kopieren von
Persönlichkeiten ging; und an die Schlussfolgerung, zu der
ihr gelangt seid: Eine Kopie ist nicht das Original, und
deshalb… Reid hatte eine merkwürdig theologische Art,
das auszudrücken, wie du dich erinnern wirst.«
    »›Die am Tag des Jüngsten Gerichts
wiederauferstandenen Toten sind Neuschöpfungen, so
unschuldig wie Adam im Garten Eden.‹«
    »Richtig«, sagte Wilde. »Genau das bin ich:
eine Neuschöpfung. Ein neuer Mensch.« Er schnippte die
Zigarette in den Kanal und sprang auf, breitete weit die Arme aus
und blickte zum Himmel hoch. »Ein Neumarsianer!«
    »Du bist wirklich Wilde«, sagte die Maschine.
»Genau so hätte er reagiert.«
    Der Mann lachte. »So leicht durchschaust du mich nicht.
Ähnlichkeit, ganz gleich, wie stark sie ausgeprägt sein
mag, ist noch längst keine Identität. Kontinuität
hingegen schon.«
    »Mag sein«, sagte die Maschine. »Aber alles
auf dem Neuen Mars ist die logische Konsequenz der gegenteiligen
Annahme.«
    Wilde schloss einen Moment lang die Augen, dann hockte er sich
neben den Robot und malte mit einer Fischgräte Linien in den
Staub. Das fertige Gekritzel blickte er an, als handele es sich
um eine Gleichung, die er sich zu lösen bemühte.
    »Ah«, sagte er. Er dachte noch eine Weile nach.
»Alles?«
    »Alles Wichtige«, sagte die Maschine.
    »Aber das ist verrückt. Das ist nicht bloß
falsch – es ist ein riesiger Irrtum.«
    »Ich habe damit gerechnet, dass du das glauben
würdest«, meinte Jay-Dub; in seinem Tonfall schwang
Selbstzufriedenheit mit. »Aber ganz gleich, ob du dich nun
mit dem ursprünglichen Jonathan Wilde identifizierst oder
nicht, wirst du wahrscheinlich doch tun, was ich von dir
erwarte.«
    »Und das wäre?«
    »Du hast gesagt, Reid hätte dich getötet
– mich, uns, ganz wie du willst. Also trägt er
jedenfalls Schuld. Verklage den Mistkerl wegen Mordes.«
    Wilde lachte. »Verklagen soll ich ihn, nicht anzeigen?
Das hast du also auch drauf?« Es hatte den Anschein, als
wunderte er sich mehr über die Feinheiten des Gesetzes als
über seinen eigenen Fall.
    »Das auch«, antwortete Jay-Dub gewichtig.
»Wir haben ein polyzentrisches Rechtssystem.«
    »Was auch immer«, meinte Wilde. »Wenn sich
ein Lebender vor ein Gericht hinstellen und behaupten würde,
er sei ermordet worden, hieße das vielleicht, es zu weit zu
treiben.«
    »Genau«, sagte Jay-Dub. »Ich will die Sache
so weit treiben, bis sie hochgeht.«
    Wilde kritzelte wieder im Staub herum.
    »Ah«, meinte er. »Ich verstehe. Sehr schlau.
Alle Antworten sind falsch. Wie bei einem Koan.«
    Er blickte auf.
    »Warum«, fuhr er fort, »kannst du Reid nicht
selbst verklagen?«
    Jay-Dub richtete sich auf und streckte die Beine. »Schau
dich mal um«, sagte er und schwenkte die Arme über das
belebte Kai. »Jeder hergelaufene Affe verfügt hier
über Rechte, die jedes Gericht anerkennt. Ich nicht. Ich bin
ein instrumentum vocale: ein sprechendes
Werkzeug.«
    »Und worin besteht der Unterschied zwischen einem Humanäquivalent und einer beschissenen
Maschine, auf dem du ständig herumreitest?«
    »›Humanäquivalent‹«, antwortete
der Robot nicht ohne Bitterkeit, »ist ein Vermarktungsbegriff. Rechtlich ist er ohne Belang, und mit
Ausnahme der Abolitionisten schert sich niemand darum.«
    »Ach, ja?« Wilde wirkte auf einmal interessiert.
»Du meinst die Leute… zu denen sich der Gynoid
abgesetzt hat?«
    »Ja.«
    »Ich möchte mit ihnen sprechen. Mir scheint, das
sind Leute wie ich.«
    »Ich versichere dir, das sind sie nicht«, sagte
der Robot. »Das ist genau die Art

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