Die Mars-Stadt
Hände in den
Umhang gekrallt. Mehr kann sie nicht tun, um zu verhindern, dass
sie sich zu einer Kugel zusammenrollt. Die Wände der
Röhre sind stellenweise transparent – bisweilen meint
sie Hausdächer zu erkennen, dann wieder Innenräume mit
verblüfften Gesichtern, die für Sekundenbruchteile
ihren Blick erwidern. Der Geruch des angesengten Stoffs steigt
ihr in die Nase.
Ihre übrigen Sinne sind völlig durcheinander. Sie
beschränkt sich auf die distanzierte Perspektive des
Systems, das bereits die ersten Schritte der Katastrophenroutine
eingeleitet hat und sich auf den Ausfall somatischer Systeme
vorbereitet. Einen Moment lang sieht sie vor ihrem geistigen
Auge, wie sich ihr Rechner von den Überresten ihres
tierischen Gehirns löst und aus der blutigen Masse ihres
zerschmetterten Schädels hervorkriecht.
Dann verlangsamt sich ihr Fall, und es weitet sich um sie.
Hinter ihren geschlossenen Lidern wird es hell. Sie öffnet
die Augen und stellt fest, dass sie zwar immer noch in die Tiefe
saust, aber allmählich langsamer wird. Sie zieht die
Schultern ein, und wie auf ein newtonsches Stichwort hin donnert
Ax gegen sie. Tageslicht und frische Luft, rufende Menschen.
Dee kommt auf dem Rücken liegend zur Ruhe. Alles dreht
sich um sie. Sie setzt sich auf und blickt sich um. Ax liegt ein
paar Meter entfernt, mit geschlossenen Augen und offenem Mund.
Sie befinden sich auf einem Platz am Fuße einer flachen
Böschung, die aus einem schwarzen, glasartigen Material
besteht und vom Turm überragt wird. Zwischen
Sitzbänken, Springbrunnen und den Eingängen anderer
Gebäude starren Menschen zu ihr herüber.
Unmittelbar neben ihrer rechten Hand bildet sich im schwarzen
Glas eine zentimetergroße Öffnung. Risse strahlen
davon aus. Gleichzeitig vernimmt sie ein leises Pock.
Ein weiteres Loch, noch etwas näher.
»Scheiße!«
Dee springt auf, taumelt zu Ax, packt ihn am Fuß und
schleift ihn über den Rand der Böschung. Er plumpst
einen halben Meter in die Tiefe. Mit einem Aufschrei öffnet
er die Augen. Dee blickt zum Turm hoch, macht weit oben auf den
Baikonen umherrennende Menschen aus. Aus Prinzip feuert sie ein
paar Schüsse ab, dann zieht sie Ax auf die Beine.
»Lauf!«
Beide sind noch so benommen, dass ihnen das Ducken,
Haken-Schlagen, Sich-Fallenlassen und Herumwälzen leicht
fällt. Kurz darauf befinden sie sich inmitten der
schreienden Passanten auf dem Platz, aber noch nicht
außerhalb der Reichweite der Schützen auf der
Turmspitze.
Noch immer geht alles drunter und drüber. Ax prallt gegen
Passanten, arbeitet sich aber wie eine Flipperkugel immer weiter
vor. Dee zwingt ihre vibrierenden Nerven, sich zu beruhigen, und
sprintet auf einen überdachten Eingang zu. Im willkommenen
Schatten angelangt, blickt sie sich um. Ax hat sich zu ihrem
Entsetzen in ein Handgemenge verwickeln lassen. Drei Mädchen
in Sekretärinnenkleidung schlagen auf seinen Schädel
ein und treten ihm gegen die Schienbeine, während er sie
gegen die Hüften schubst, ihnen auf die Füße
tritt und sie auf die Schenkel boxt.
Dee tritt mit einem unheimlichen Aufschrei aus der Deckung und
packt eine Handvoll langen blonden Haars. Sie reißt dem
Mädchen den Kopf in den Nacken, langt mit der anderen Hand
ins Gewühl und zerrt Ax am Kragen, bis er hinter ihr ist.
Dann schiebt sie die Mädchen mit einer weit ausholenden
Armbewegung auf einem Haufen zusammen und schließt zu Ax
auf, der sich umsichtigerweise dafür entschieden hat, zu dem
überdachten Eingang zu rennen.
Sie blickt auf Ax’ gerötetes dunkles Gesicht
nieder.
»Lauf!«, sagt sie.
»Wohin?«
»Mir nach!«
Vor ihren Augen tanzen Stadtpläne. Der Soldat
blättert in der Projektion und markiert eine Route, blendet
ihr Hinweisschilder ins Gesichtsfeld ein. Sie läuft eine
Treppe hoch, biegt um eine Ecke, rennt über einen Parkplatz,
klettert über ein Geländer und gelangt in eine
lärmerfüllte Gasse. Sie tritt in Pfützen. Ax folgt
ihr japsend.
Die virtuellen Pfeile verweisen auf einen Eingang. Dee
rüttelt an der Klinke. Abgeschlossen. Sie zieht die Pistole,
Ax aber legt ihr die Hand auf den Arm. Er grinst sie an, wirbelt
auf dem einen Fußballen herum und tritt mit dem anderen
Fuß gegen die Tür. Sie fliegt auf, dahinter liegt eine
Treppe. Die Pfeile leuchten auf den Stufen wie die Spuren eines
radioaktiven Riesenvogels mit entgegengesetzter Laufrichtung. Dee
blickt nach links und nach rechts. Am Ende
Weitere Kostenlose Bücher