Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
befinden sich an einem Kai an der Rückseite des
Gebäudes, am Rande eines fünfzig Meter breiten Kanals,
der an weitere Gebäuderückseiten grenzt. Abgesehen von
ein paar langen, automatischen Frachtkähnen, die in einer
Welt, die kaum anspruchsvoller ist als die
Spielzeugwirklichkeiten der ersten AI-Experimente, ihrer Arbeit
nachgehen, ist der Kanal leer. Es sieht so aus, als dringe Licht
unter dem Tor hervor, aber das liegt bloß am Kontrast, denn
es ist düster hier unten, vermutlich auch dann, wenn es
nicht gerade Abend wird. Ax wartet zögernd in der Nähe,
behält den Robot misstrauisch im Auge. Seine Kleidung ist an
einer Stelle zerrissen; vermutlich hat ihn der Robot dort
gepackt, überlegt Dee.
    »Alles in Ordnung«, sagt sie. »Glaube
ich.«
    »Ich wollte euch bestimmt nichts tun«, meint der
Robot. »Ich habe nicht die Absicht, euch auszuliefern, wie
ich gerade eben wohl unter Beweis gestellt habe.« Er zeigt
auf ein stromlinienförmiges Boot mit einem starken
Außenborder und – was am erfreulichsten ist –
einer kleinen, aber vor fremden Blicken schützenden
Kabine.
    »Kommt mit«, sagt er. »Es gibt viel zu
tun.«
    »Ja«, sagt Ax. Er steckt sich die Waffe unters
zerrissene Hemd und zeigt auf Dee. »Guck dir bloß mal
an, wie die aussieht.«
     
    Während die Prozessverbündeten die großen
Kanäle und die von Menschen bewohnten Viertel
allmählich hinter sich ließen und in die Untiefen und
Sümpfe einfuhren, schloss Tamaras Boot immer mehr auf. Als
keine Kanäle mehr zu erkennen waren und sie sich zwischen
schilfbestandenen Ufern in kleinen Wasserläufen und kaum
befahrbaren Gräben einen Weg suchten, übernahm sie die
Führung. In der Ferne, Richtung Stadtzentrum, donnerte ein
Hovercraft über die Untiefen hinweg und scheuchte
kilometerweit im Umkreis Vögel auf. Eine Schar Gänse
flog in V-Formation über sie hinweg, goldene Flecken am
tiefblauen Himmel.
    »So was sehe ich bloß dann, wenn ich kein Gewehr
dabeihabe«, seufzte Tamara.
    Wilde schlug nach irgendwelchen Insekten. »Warum, zum
Teufel«, fragte er, »mussten wir ausgerechnet diese
Scheißmoskitos durchs Weltall transportieren?«
    »Aus ökologischen Gründen«, meinte
Tamara mit einem Anflug von Herablassung. Sie reichte ihm eine
Tube ›Super Repellant‹. Wilde rieb sich ein und
beobachtete anschließend voller Genugtuung, wie die kleinen
schwarzen Plagegeister auf seiner Haut landeten und dann tot
umfielen und in die Hölle fuhren, die ihren boshaften
Zwei-Byte-Seelen vorbehalten war. Er erläuterte Tamara
ausgiebig seine unorthodoxen theologischen Ansichten, womit er
sie zum Lachen brachte.
    Sie erzählte ihm von der Jagd auf Biomechanismen und
ihren politischen Aktivitäten in der Abolitionistenbewegung.
Abgesehen davon, dass er sie drängte, ihm detailliert das
Bankensystem und die Organisationsformen und
gesellschaftspolitischen Ziele der Abolitionisten zu schildern,
war er kein schlechter Zuhörer. Anschließend legten
sie sich in den Bug des Bootes und blätterten in Eon
Talgarths Notizen über Jonathan Wilde. Bisweilen schaute er
finster drein, häufiger aber lachte er laut auf. Ethan und
Tamara wollten wissen, was denn da so komisch sei, und hin und
wieder sagte er es ihnen. Nach einer Weile verstummte er,
saß da und nahm sich noch einmal die ersten und letzten
Seiten der Akte vor, dann kehrte er wieder an den Anfang
zurück. Schließlich verstaute er die Papiere in
Tamaras Tasche und blickte in die Sumpfwüste hinaus, die im
Sonnenuntergang dalag wie eine riesige rote Blutlache.
     
    Ship City liegt in den Tropen des Neuen Mars. Als die Sonne
hinter dem Horizont versunken war, wurde es in Minutenschnelle
dunkel. Wilde lächelte Tamara und Ethan zu und zündete
sich eine Zigarette an.
    »Es ist schon eigenartig, in der Dunkelheit sehen zu
können«, meinte er. Er blickte sich abermals um.
»Verdammt! Ich kann’s!«
    »Sie müssen die Zigarette abschirmen«, sagte
Ethan. »Die blendet Sie.«
    Wilde tat wie geheißen, schleuderte kurz darauf den
Stummel ins Wasser und blickte zu den Sternen auf. Jetzt, da die
Lichter des Menschenviertels hinter ihnen lagen und vor ihnen die
weniger geordneten und wahllos aufflammenden Lichter des
Fünften Viertels, war ihr Anblick weniger
überwältigend als am Abend zuvor, gleichwohl aber noch
immer eindrucksvoll. Er riss staunend die Augen auf, als wispernd
eine Feuerkugel vorbeiflog, und blinzelte, als es hinter dem

Weitere Kostenlose Bücher