Die Marsfrau
Anruf nicht reagiert hatte, eventuell selbst
aufzufinden. Die Sekretärin beschrieb ihm die Stallungen.
„Schlimmstenfalls der Nase nach“, rief sie ihm hinterher. „Wir
können machen, was wir wollen. Das ,Aroma’ bekommen wir
nicht weg.“
Vom Tiger, sibirischen Eichhörnchen und Zobel bis zu
seltenen Insekten wurden in der Farm fast alle Vertreter der
einheimischen Fauna gezüchtet. Tafeln gaben Auskunft über
die Art und die Zuchterfolge der Farm. Offenbar wurde die
Anlage auch als Tiermuseum oder zoologischer Garten
genutzt. ,Nekrassow hat auch starke Seiten’, stellte Sylvester
mit ehrlicher Anerkennung fest.
Von weitem hörte Sylvester das Quieken. „Sie machen sie
wohl transportfertig“, dachte er, und er ging den Lauten nach.
In der Tat, bald gesellte sich zum Quieken der Duft, sodass
Sylvester, akustisch und aromatisch geleitet, binnen kurzem
vor den Koben stand.
Da er keinen traf, bei dem er sich hätte melden können, trat
Sylvester kurz entschlossen ein.
Er übersah zwar die gesamte Anlage nicht, hatte aber den
Eindruck, als befänden sich über 30 Schweine in dem Stall. Er
konnte natürlich nicht beurteilen, wie viele davon echt waren,
aber immerhin.
Offenbar hatten die Tiere Hunger, die Unruhe war groß, der
Lärm kaum erträglich, sodass der Mann, der vor einer der
Boxen hockte, Sylvester nicht bemerkte.
Es war Nagy. Er hielt eine Injektionspistole, hantierte an
dieser herum und beugte sich dann damit über die niedrige
Brüstung einer Box.
Unbefangen trat Sylvester näher.
In der Box befanden sich zwei Schweine, sah er, ein großes
und ein kleineres.
Nagy drückte die Pistole dem kleineren an die Keule und
betätigte den Abzug. Das klackende Geräusch ließ das Tier
leicht zusammenzucken.
Nagy wandte sich dem anderen Schwein zu.
„Ich grüße dich, Kollege Nagy!“, sagte Sylvester ziemlich
laut, über den allgemeinen Lärm hinweg.
Der Situation völlig unangemessen fuhr Nagy herum. Albern
hielt er dabei die Pistole auf den Rücken.
„Verzeihung!“ Sylvester bot ihm die Hand zum Gruß. „Ich
habe dich erschreckt. Sind das die beiden?“
Nagy rang ein wenig nach Luft. „Ja“, brachte er hervor. „Das
nächste Mal melde dich aber an. Betriebsfremden ist hier der
Zutritt nicht gestattet.“
„Entschuldige!“ Sylvester wurde sein Eindringen nachgerade
peinlich.
„Also“, Nagy hatte sich wieder in der Gewalt, „ich werde
veranlassen, dass die Transportkiste bereitgestellt wird. Ich
habe mit euch noch nicht gerechnet.“ Er drängte an Sylvester
vorbei zum Ausgang.
„Willst du nicht erst weiter machen?“, fragte Sylvester und
zeigte auf das größere der beiden Schweine.
Nagy drehte sich halb um. Er zögerte. Dann sagte er obenhin:
„Hab ich schon!“, und er ging weiter.
Sylvester zog hinter seinem Rücken eine Grimasse, die
tiefsten Zweifel verriet. Nach seiner Meinung wollte er
gerade… „Nicht meine Sache“, sagte er sich. „Dieser Nagy
muss davon etwas verstehen, nicht ich Neuling.“
Das Verladen ging schnell vonstatten. Sylvester nötigte Nagy
noch das Versprechen ab, dass er bei Bedarf auf jeden Fall
wieder vorsprechen könne, allerdings sei das keine Zusage für
die Lieferung weiterer Tiere.
Sylvester hätte den Mann zu gern noch nach dessen Tätigkeit
im Werchojansker Institut befragt. Er war sicher, dass Nagy
viel wusste von den früheren Arbeiten. Aber dieser benahm
sich derart abweisend und schützte Zeitmangel vor, dass
Sylvester nicht zum Zuge kam. ,Bist ja nicht aus der Welt,
lieber Allan’, dachte er. –
Drei Tage nach dem Eintreffen im Institut verendete das
kleinere der beiden Schweine. Ein Verlust insofern, als die
Zeitrechnung der Marowa nun nicht mehr stimmte, sich der
Versuchsverlauf verzögern würde. Aber was ließ sich ändern.
„Das Leben ist im Letzten unerforschlich“, sagte die Marowa,
machte einen neuen Netzplan und ging zu Tages fragen über.
Nicht so Sylvester Reim.
Als das Tier in den letzten Zügen lag, hatte Sylvester bereits
seinen Entschluss gefasst. Er wurde ein Bild nicht los: Allan
Nagy beugt sich mit der Injektionspistole in der Hand über die
Box. Und er hatte die Unwahrheit gesagt! Die tragende Sau
hatte er nicht geimpft. Und überhaupt! Nagy hatte sich mehr
als seltsam benommen.
Sylvester Reim war sich im Klaren darüber, dass er über
seine Beobachtungen mit niemandem sprechen konnte. Eine
Beschuldigung Allan Nagys, bewusst den Tod des Tieres
herbeigeführt zu haben, wäre ohne Beweise verantwortungslos
und
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