Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
offen halten. Zweimal fielen ihm Schrauben in die Wanne mit den Unterlegscheiben, so dass das Fließband angehalten werden musste, damit er sie wieder herausfischen konnte – und das unter den missbilligenden Blicken seiner Kollegen. Scheiß drauf, sagte er sich, scheiß auf die beschissenen Kollegen. Als ob nicht jedem mal ein Missgeschick passieren konnte. Außerdem würde er eh bald hier raus sein, wenn seine Projekte feste Gestalt annahmen.
Doch als die langersehnte Mittagspause kam, konnte Prime sich nicht auf den Text konzentrieren. Bei Stephen King hatte sich alles so einfach angehört. Prime hatte den Film zweimal gesehen und das Buch zumindest überflogen. Warum also fiel es ihm jetzt so schwer, Shining neu zu schreiben? Jeden Tag opferte er die komplette Mittagspause dafür, genauer gesagt für seine Versuche, sich an den Inhalt zu erinnern. Wenigstens gab es in diesem Universum keinen Stephen King, da war Prime auf Nummer sicher gegangen. Diesmal würde sich nicht irgendein dahergelaufener Kerl melden und ihn eines Plagiats bezichtigen. Aber zuerst musste Prime die Wörter aufs Papier bringen. Hätte er das Taschenbuch doch einfach eingesteckt und hierher mitgebracht!
»Hey.«
Was um Himmels willen war doch gleich in Zimmer 237 geschehen?
»Hey! Rayburn!«
Prime blickte auf. Ein Jugendlicher, der mit ein paar gleichaltrigen Kumpels am Nebentisch saß, hatte ihn angesprochen. Wahrscheinlich Schüler, die hier ein Sommerpraktikum absolvierten. Allerdings hatte Prime das Gefühl, den Kerl schon einmal gesehen zu haben.
»Du bist doch derjenige, der Casey Nicholson geschwängert hat, stimmt’s?«, sagte der Jugendliche.
Prime gefror das Blut in den Adern. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Carson. Ted Carson. Wie hatte er ihn nur vergessen können! Das kleine Arschloch, wegen dem man ihn – nein, Johnny Farmer – von der Schule suspendiert hatte. Tief durchatmend versuchte Prime, seine Wut unter Kontrolle zu bringen, und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. »Und du bist Ted Carson, oder? Der berühmte Ted Carson?«
Mit gerunzelter Stirn beugte sich Carson vor. »Tu nicht so, als ob wir uns nicht kennen würden, Rayburn.«
»Nicht so bescheiden, Ted. Du bist doch wirklich berühmt!«
»Von was redest du da, verdammt nochmal?« Langsam schwand Carsons überschäumendes Selbstvertrauen.
»Nun, ich hab gehört, dass hier in der Gegend ein paar Tiere vermisst werden.«
Mit einem Schlag wich die Farbe aus Carsons Gesicht. Prime genoss es. »Weißt du vielleicht irgendwas darüber? Kannst du irgendwelche Hinweise beisteuern? Oder sogar Beweise?«
Carsons Halsschlagader trat hervor. Die Augen weiter starr auf Prime gerichtet, biss er die Zähne zusammen, bis sie knirschten. Während Prime sein liebenswürdigstes Lächeln zeigte, warfen sich Carsons Freunde fragende Blicke zu. Sie kapierten nicht, welche Wendung dieser zahme Mobbingversuch plötzlich genommen hatte.
Anders als Prime – er wusste alles. »Sollen das vielleicht Übungen sein, Mörder? Und wenn ja, für wen oder was? Mm?«
Das war zu viel. Carson wandte den Blick ab, nickte kurz seinen Freunden zu, stand auf und stürmte aus dem Zimmer. »Fick dich doch, Rayburn!«, schrie er noch, bevor die Tür hinter ihm zuschlug.
Lachend zuckte Prime mit den Schultern und sah die übrigen Jungs herausfordernd an. »Was ist? Kann ich euch irgendwie helfen?«
Verwirrt wandten sich die Jugendlichen ab und steckten die Köpfe zusammen. Zeit, sich wieder Shining zu widmen.
Feierabend. Prime ging den Gang entlang zum Parkplatz, als er plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Er drehte sich um und entdeckte am anderen Ende des Flurs Ted Carson und einen älteren Mann mit demselben feisten Gesicht. Die beiden starrten ihn einträchtig an.
Prime schüttelte den Kopf. Wer hätte das gedacht: Ted Carsons Dad arbeitete also auch hier! Na toll. Jetzt konnte er sich mit zwei Carsons herumschlagen.
16
Johns Laborstunden fanden in der Hermangild Hall statt, dem alten Physikgebäude – einem imposanten Steinbauwerk mit Holzboden, das vor Stimmen und Schritten laut widerhallte. Er war zwar schon durch unzählige Universen gereist, aber in großen Menschenmengen fühlte sich John immer noch unsicher. Im Herzen war er nach wie vor der Junge aus der Kleinstadt.
Erst nachdem er die Hälfte der Zimmernummern im ersten Stock durchgegangen war, kam er darauf, dass das Labor im Untergeschoss sein musste. Gott sei Dank fand er bald eine
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