Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
Wendeltreppe. Aber je tiefer er hinabstieg, desto intensiver lagen Schimmelgeruch und Staub in der Luft. Nackte Birnen reihten sich an der Decke aneinander. War er hier wirklich richtig?
»Hast du dich verlaufen?«
John drehte sich um und sah sich einer jungen Frau mit krausem Haar gegenüber, die gerade aus einer angrenzenden Tür in den Gang getreten war.
»Willst du zur Laborstunde?«, fragte sie. »Wenn ja, bist du hier richtig.«
»Danke«, stammelte er.
Im Türrahmen blieb er stehen, um sich erst einmal zu orientieren. Vor ihm lag ein länglicher Raum, fünfzehn Meter lang und fünf Meter breit, in dem sechs schwarz lackierte Tische in zwei Reihen aufgestellt waren. Ein Dutzend Studenten wartete bereits auf den Beginn der Stunde. Am hinteren Ende des Labors entdeckte er einen leeren Tisch und setzte sich davor.
Jemand streifte ihn am Ellbogen. Als er sich umschaute, blickte er wieder dem kraushaarigen Mädchen ins Gesicht. Anscheinend war sie ihm gefolgt.
»Ist hier noch frei?«, erkundigte sie sich.
»Sieht so aus.«
Sie warf ihren übervollen Rucksack neben John auf den Boden, ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen und streckte die Hand aus. »Ich bin Grace. Grace Shisler.«
»John.« Ein leichtes Zittern lag in seiner Stimme. »John Ray … Wilson.«
»Also ist dein zweiter Name Ray?«
John lief rot an – solche Fehler durfte er sich nicht allzu oft erlauben. »Nein, nein. Nur … Ach, ist egal.«
»Alles klar, John Ray, ganz wie du meinst.«
Fieberhaft versuchte John, sich eine Ausrede zurechtzulegen, um an einen anderen Tisch wechseln zu können. Doch dort waren alle Plätze belegt.
»Henry! Hey! Hier drüben!«, rief Grace über das Stimmengewirr hinweg. Die halbe Klasse drehte sich zu ihr um, und John wurde schon wieder rot. Er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen.
Henry entpuppte sich als großer, schlaksiger Typ mit krummem Rücken und schwarzem Haar. Er ließ sich auf den Stuhl neben Grace sinken und bedachte John zur Begrüßung mit einem Grunzen.
»Henry wohnt im Alcott«, gab Grace bekannt. »Und ich im Benchley. Wir haben uns bei einer dieser Eisbrecher-Partys für Erstsemester kennengelernt. Stell dir vor, wir studieren beide Maschinenbau! Und wie sieht’s mit dir aus, John Ray? In welchem Wohnheim bist du untergebracht?«
»Nur John, bitte. John. Ich wohne … äh … nicht auf dem Campus.«
»Wie hast du das denn hingekriegt?« Grace wirkte beeindruckt. »Die Erstsemester müssen doch alle im Wohnheim
wohnen. Und du bist doch ein Erstsemester, oder? Schließlich ist das hier die Laborstunde für Anfänger.«
»Ja, ja, ich bin Erstsemester, aber nicht regulär.« John hatte Glück gehabt, ohne ordentlichen Highschool-Abschluss überhaupt an dem Weiterbildungsprogramm teilnehmen zu können. Hätte die Universität neben seiner gefälschten Geburtsurkunde noch weitere Dokumente sehen wollen, wäre er in echte Schwierigkeiten geraten.
»Cool«, meinte Grace anerkennend, während Henry ein weiteres Grunzen ausstieß. »Und, wie findest du den Kurs von Higgins bisher? Ich hatte das alles schon in der Highschool.«
John nickte. Die erste Stufe der Physikvorlesungen hätte er sich auch gerne gespart, aber wenn er die Prinzipien hinter dem Gerät verstehen wollte, kam er um die Grundlagen nicht herum. Und nur deswegen hatte er ja studieren wollen: um das Gerät zu ergründen. Leider musste er sich dort auch mit tausend völlig irrelevanten Themen abgeben. Technisches Zeichnen, Elektronik für Anfänger, Physik für Erstsemester, Europäische Geschichte, ja sogar Englisch waren Pflichtfächer! Aber in welchem Vorlesungsverzeichnis würde er schon einen Kurs zum interdimensionalen Reisen finden? Höchstens am MIT.
»Was meint ihr, was wird in der Prüfung so alles drankommen?«, sinnierte Grace. »Ich hoffe ja, dass sie so richtig schön schwer wird!«
John warf ihr einen zweifelnden Blick zu, den sie mit strahlendem Lächeln erwiderte.
»Sollen wir uns vielleicht irgendwo anders hinsetzen?«, fragte Grace, ohne dass ihr Lächeln verschwand.
»Nein, nein«, sagte John, während er ein drittes Mal rot anlief. »Ich bin nur …«
»… ein bisschen schüchtern, was?«
»Ein bisschen, ja. Das hier ist alles sehr neu für mich.«
»Lehn dich einfach zurück und entspann dich. Ich mach das schon. Henry hier helf ich auch dabei, sich ans Unileben zu gewöhnen.«
John wagte einen Seitenblick auf Henry, der nur mit den Achseln zuckte.
Kurz darauf hielt Grace zwar immer noch
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