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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihre einzige Tochter unter der Eiche begraben hatte – die einzige Tochter, die sie je haben würde.
    Sie hob die Hände und fuhr sich heftig durchs Haar. Dann griff sie wie mechanisch nach den Wasserhähnen der Dusche.
    Als das Wasser herabflutete, konnte sie, vielleicht zum ersten Mal, klar denken. Das Rauschen war betörend, das heiße Wasser luxuriös.
    Es kam ihr wie ein unglaublicher Reichtum an Kleidern vor, aus denen sie wählen konnte. Es war verwirrend, daß so viele in den Schränken hingen. Schließlich fand sie eine weiche, lässige Hose, eine alte Hose, die sie vor Ewigkeiten in San Francisco getragen hatte; sie zog sie an und dazu einen we i ten, unerwartet schweren Baumwollpullover.
    Das war kühl genug für den Frühlingsabend. Und es war ein gutes Gefühl, wieder die Kleider zu tragen, die sie geliebt ha t te. Wer mochte nur all diese hübschen Kleider gekauft haben?
    Sie bürstete sich das Haar, schloß die Augen und dachte nach. »Du wirst ihn verlieren, und zwar aus gutem Grund, wenn du jetzt nicht mit ihm sprichst, wenn du es ihm nicht noch einmal erklärst, wenn du nicht gegen deine instinktive Angst vor Worten ankämpfst und zu ihm gehst.«
    Sie legte die Bürste hin. Er stand in der Tür; und als sie ihn anschaute, war der friedliche, ergebene Ausdruck in seinem Gesicht eine große Erleichterung für sie. Fast hätte sie g e weint. Aber das wäre absurd und selbstsüchtig gewesen.
    »Ich liebe dich, Michael«, sagte sie. »Das könnte ich von allen Dächern schreien. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Es war Eitelkeit, und es war Hybris; und das Schweigen, das Schweigen war das Scheitern einer Seele, sich zu heilen und zu stärken, vielleicht aber auch nur der notwendige Rückzug, den die Seele antrat, als wäre sie ein Organismus, der seine eigenen Interessen verfolgt.«
    Er hörte aufmerksam zu, die Stirn leicht gerunzelt; seine Mi e ne war ruhig, aber nicht mehr unschuldig, wie sie es früher gewesen war. Seine Augen waren groß und glänzend, aber auch hart und von Trauer überschattet.
    »Ich weiß nicht, was vorhin über mich gekommen ist, Rowan«, sagte er. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß es einfach nicht.«
    »Michael, nein…«
    »Doch, laß mich sprechen. Ich weiß, was dir passiert ist. Ich weiß, was er getan hat. Ich weiß es. Und ich weiß nicht, wie ich dir die Schuld daran geben, zornig auf dich sein und dich verletzen konnte. Ich weiß es nicht!«
    »Michael, ich weiß«, sagte sie. »Hör auf. Hör auf, oder du bringst mich zum Weinen.«
    »Rowan, ich habe ihn vernichtet.« Seine Stimme war ein Fl ü stern geworden, wie so oft, wenn jemand vom Tod spricht. »Ich habe ihn vernichtet, und es ist nicht genug! Ich… ich…«
    »Nein, sprich jetzt nicht mehr, verzeih mir, Michael, verzeih mir, um meinetwillen und um deinetwillen. Verzeih mir.« Sie beugte sich vor und küßte ihn, raubte ihm absichtlich den Atem, damit es unausgesprochen bliebe. Und als er sie jetzt in die Arme schloß, war seine Umarmung erfüllt von der alten Güte, der alten, genußlichen Wärme, der endlosen, beschü t zenden Wohligkeit, die ihr ein Gefühl der Sicherheit gab, jener Sicherheit, die sie gespürt hatte, als sie das erstemal mitei n ander geschlafen hatten.
    Es mußte etwas geben, das wohliger war, als ihm so in die Arme zu sinken, wohliger als nur einfach nah bei ihm zu sein. Aber in diesem Augenblick hätte sie nicht sagen können, was – sicher nicht die Wut der Leidenschaft. Die gab es selbstverständlich, damit man sie wieder und wieder genoß, aber das hier war es, was sie mit keinem anderen Lebewesen auf der Welt je erlebt hatte. Das hier!
    Schließlich löste er sich von ihr, führte ihre beiden Hände z u sammen und küßte sie, und dann ließ er dieses jungenhafte Lächeln aufstrahlen, eben jenes Lächeln, von dem sie g e glaubt hatte, sie würde es nie wiedersehen. Er zwinkerte ihr zu, und seine Stimme klang brüchig.
    »Du liebst mich wirklich immer noch, Baby.«
    »Ja«, sagte sie. »Anscheinend habe ich es einmal gelernt, und jetzt muß es für immer sein. Komm mit mir, komm hinaus, komm unter die Eiche. Ich will eine Weile in ihrer Nähe sein. Ich weiß nicht, warum. Du und ich, wir sind die einzigen, die wissen, daß sie da draußen zusammen liegen.«
    Sie schlichen sich über die Hintertreppe hinunter und durch die Küche. Der Wachmann am Pool nickte ihnen nur zu. Es war dunkel im Garten. Am Eisentisch warf sie sich an seinen Hals, und er hielt sie fest. Ja,

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