Die Mayfair-Hexen
verängstigt noch betrübt aus. Er fragte sich, ob sie im Grunde ihres Herzens vielleicht gelangweilt war und sich wünschte, er säße sicher zu Hause, während sie ihre nächsten Schritte plante.
Du mußt dir solche Gedanken aus dem Kopf schlagen, Mann, denn wenn du das nicht tust, kannst du sie nie wieder lieben.
Und er liebte sie. Daran bestand plötzlich nicht der geringste Zweifel. Er liebte ihre Kraft, und er liebte ihre Kälte. So war es in ihrem Haus in Tiburon gewesen, wo sie unter den kahlen Dachbalken miteinander geschlafen hatten, wo sie geredet und geredet hatten, ohne sich im geringsten erklären zu können, wie sie sich ihr Leben lang aufeinander zu bewegt hatten.
Er streckte die Hand aus und berührte ihre Wange; ihm war mehr als deutlich bewußt, daß ihre Miene sich nicht verändert hatte, daß sie wie immer völlig beherrscht wirkte.
»Ich liebe dich wirklich!« flüsterte er.
»Ich weiß.«
Er lachte leise.
»Ach ja?« Er spürte, daß er lächelte, und es fühlte sich gut an. Er lachte lautlos und schüttelte den Kopf. »Du weißt es!« sagte er.
»Ja.« Sie nickte leicht. »Ich habe Angst um dich, immer schon. Nicht, weil du nicht stark wärst, tüchtig, alles, was du sein sollst. Ich habe Angst, weil eine Macht in mir ist, die du nicht hast, und Macht ist auch in diesen anderen – in unseren Feinden, die Aaron ermordet haben -, eine Macht, die aus einer absoluten Skrupellosigkeit rührt.« Sie schnippte ein Stäubchen von dem engen, kurzen Rock. Als sie seufzte, schien dieses leise Geräusch den Wagen auszufüllen wir ihr Parfüm.
Sie senkte den Kopf, eine kleine Geste, die ihr Haar sehr weich und ziemlich lang um ihr Gesicht fallen ließ. Und als sie aufblickte, wirkten ihre Brauen besonders breit, und ihre Augen waren hübsch und geheimnisvoll zugleich.
»Nenne es Hexenmacht, wenn du willst. Vielleicht ist es so einfach. Vielleicht liegt es in den Genen. Vielleicht ist es eine physische Fähigkeit, Dinge zu tun, die normale Menschen nicht tun können.«
»Dann habe ich sie auch«, sagte er.
»Nein. Es ist vielleicht Zufall, daß du die lange Helix hast.«
»Zufall? Den Teufel ist es das. Er hat mich für dich ausgesucht, Rowan. Lasher hat das getan. Vor Jahren, als ich ein Kind war und vor dem Tor dieses Hauses stehen blieb, da hat er mich auserwählt. Warum, glaubst du, hat er das getan? Nicht, weil es ihm jemals eingefallen wäre, daß ich ein guter Mann werden und sein hart erkämpftes Fleisch vernichten würde – nein, das war es nicht. Es war das Hexenblut in mir, Rowan. Wir haben dieselben keltischen Wurzeln. Das weißt du. Ich bin ein Arbeitersohn und kenne meine Geschichte nicht. Aber sie reicht zurück zu denselben Anfängen wie deine. Die Macht ist da. Sie lag in meinen Händen, als ich Vergangenheit und Zukunft anderer Menschen lesen konnte, wenn ich sie berührte. Sie war da, als ich die Musik hörte, die ein Geist eigens für mich spielte, um mich zu Mona zu führen.«
Sie runzelte kurz die Stirn, und ihre Augen wurden für einen winzigen Moment kleiner; aber gleich waren sie wieder groß und nachdenklich.
»Ich habe diese Macht nicht benutzt, um Lasher zur Strecke zu bringen«, sagte er. »Ich hatte zuviel Angst, sie zu benutzen. Ich habe meine Kraft als Mann benutzt und die einfachen Werkzeuge, wie Julien es mir vorausgesagt hatte. Aber die Macht ist da. Sie muß da sein. Und wenn es das ist, was du brauchst, damit du mich lieben, ich meine, wirklich lieben kannst, dann kann ich in mich hineinhorchen und herausfinden, was diese Macht wirklich vermag. Diese Möglichkeit habe ich immer gehabt.«
»Mein unschuldiger Michael«, sagte sie, aber es klang eher wie eine Frage als wie eine Feststellung.
Er schüttelte den Kopf, und dann beugte er sich vor und küßte sie. Er hielt sie bei den Schultern und preßte ihren Rücken in den Sitz und bedeckte ihren Mund mit seinem Mund. Sie reagierte sofort; er spürte es daran, wie ihr Körper in Leidenschaft mit seinem verschmolz, wie ihre Arme über seinen Rücken auf und ab strichen, ihr Mund ihn wiederküßte, ihr Rücken sich bog, als wolle sie ihr ganzes Ich an ihn pressen.
Er ließ sie erst los, als es sein mußte.
Der Wagen glitt zügig über die Autobahn. Vor ihnen ragte der Flughafen. Und es war keine Zeit mehr für die Leidenschaft, die er empfand, für den Vollzug von Kränkung und Zorn und Liebe, den er so verzweifelt brauchte.
Diesmal war sie es, die ihre Hände nach ihm ausstreckte, seinen Kopf umfaßte
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