Die Meisterdiebin
Bibliothek kam und sich einen Brandy einschenkte.
„Sie hat schreckliche Angst. Beryl bringt sie gerade zu Bett. Vielleicht bekommen wir morgen mehr aus ihr heraus.“
Jordan leerte den Drink mit wenigen Schlucken und nahm sich einen wohlverdienten zweiten. Er spürte Richards fragendenBlick, als er sich in den Sessel am Kamin setzte. Einen dreifachen Brandy herunterzukippen war sonst nicht seine Art.
Aber Frauen an der Landstraße aufzusammeln und nach Hause zu bringen auch nicht.
Zum Glück hatte Beryl ihn nicht mit Fragen gelöchert. So war seine Schwester. In einer Krise tat sie einfach, was getan werden musste. Diana … oder wie immer sie hieß … war bei ihr in guten Händen.
Aber irgendwann würden die Fragen kommen, und Jordan wusste nicht, wie er sie beantworten sollte. Er wusste nicht einmal, warum er sie mitgenommen hatte. Er wusste nur, dass sie entsetzliche Angst hatte und er sie nicht im Stich lassen durfte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich für sie verantwortlich.
Es war sicher verrückt, aber er wollte sich für sie verantwortlich fühlen.
Jordan rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Was für eine Nacht“, stöhnte er.
„Autobomben. Frauen, die aus dem Krankenhaus weglaufen. Warum hast du uns denn nicht erzählt, was uns erwartet?“ fragte Richard.
„Weil ich keine Ahnung davon hatte! Ich dachte, ich hätte es mit einer kleinen Einbrecherin zu tun.“
Sein Schwager kam näher. „Ich frage mich, für wen die Bombe gedacht war.“
„Was?“ Er sah hoch. Er hatte großen Respekt vor Richard. Die vielen Jahre im Geheimdienst hatten Beryls zukünftigen Mann gelehrt, um die Ecke zu denken und möglichst keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.
„Die Bombe war in Guy Delanceys Wagen“, sagte Richard. „Sie kann ihm gegolten haben. Oder …“
Jordan runzelte die Stirn. „Oder auch nicht.“
„Richtig“, meinte Richard. „Sie sollte mit ihm im Wagen sitzen. Die Bombe hätte auch sie getötet.“
„Sie hat Angst. Aber sie hat mir noch nicht erzählt, wovor sie Angst hat.“
„Was weißt du über diese Frau?“ fragte Richard.
„Nur, dass sie sich Diana Lamb nennt. Ich bin nicht einmal sicher, was ihre natürliche Haarfarbe ist! Erst ist sie blond, dann rothaarig.“
„Was ist mit den Fingerabdrücken von ihrem Glas?“
„Onkel Hughs Freund hat sie bei Scotland Yard durch den Computer gejagt. Ohne Ergebnis. Was mich allerdings nicht wundert. Ich glaube, sie ist Amerikanerin.“
„Warum hast du mir das nicht gesagt? Ich hätte die Abdrücke in die USA schicken können.“
„Ich durfte dir nichts sagen.“ Jordan lächelte. „Ich hatte es Veronica versprochen.“
Sein Schwager lachte. „Und ein Gentleman wie du hält in jedem Fall sein Wort.“
„Ja. Aber es gibt Umstände, bei denen ich eine Ausnahme mache. Autobomben, zum Beispiel.“ Jordan starrte in den Schwenker und überlegte, ob er sich noch einen Brandy gönnen sollte. Nein, besser nicht. Delancey war ein abschreckendes Beispiel dafür, was zu viel Alkohol anrichten konnte.
Er stellte das Glas ab. „Das Motiv“, sagte er leise. „Warum sollte jemand Diana ermorden wollen?“
„Oder Delancey.“
„Das ist einfach zu beantworten. Es gibt jede Menge abgelegter Geliebten und betrogener Ehemänner, die ihn gern umbringen würden.“
„Deine Freundin Veronica und ihr Mann, zum Beispiel.“
„Ich glaube kaum, dass die …“
„Trotzdem kommen sie in Betracht“, unterbrach Richard ihn. „Jeder ist verdächtig.“
Als jemand die Bibliothek betrat, drehten sie sich um. Beryl sah sie an. „Wer ist verdächtig?“
„Für Richard kommt jede in Frage, die mit Guy Delancey eine Affäre hatte“, antwortete Jordan.
Seine Schwester lachte. „Es wäre einfacher, mit denen anzufangen, die keine hatten. Das sind viel weniger.“ Sie fing den fragenden Blick ihres Verlobten auf. „Nein, ich hatte keine“, fügte sie scharf hinzu.
„Habe ich etwas gesagt?“ fragte Richard.
„Du hast es gedacht.“
Jordan stand auf. „Ich gehe jetzt besser zu Bett. Gute Nacht.“
„Jordan!“ rief Beryl ihm nach. „Was ist mit Diana?“
„Was soll mit ihr sein?“
„Willst du mir nicht erklären, was eigentlich los ist?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil ich nicht die leiseste Ahnung habe“, erwiderte er müde und verließ die Bibliothek. Er war Beryl eine Erklärung schuldig, aber er war zu erschöpft, um die Geschichte ein zweites Mal zu erzählen. Das überließ er Richard.
Auf
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