Die Melodie des Todes (German Edition)
Schneeräumen war schon ein Beweis, dachte er. Ebenso sauber und penibel wie in Heimdal, und auch hier hatte er hinter der Garage einen hohen Schneehaufen aufgetürmt. Der einzige Unterschied zu Heimdal war, dass in diesem Garten ein alter, roter Saab 9000 stand. Damit wussten sie nun also auch, dass Røed ein Auto hatte, wobei er sich nicht ganz sicher war, ob der Wagen noch in fahrbarem Zustand war.
Schließlich stieg er aus und untersuchte das Gartentor. Über dem einen Pfosten hing ein steif gefrorener Lederriemen. Er sah ihn sich genauer an. Es war eine Hundeleine. Wer auch immer den Hund losgemacht hatte, hatte die Leine einfach hängen lassen. Darüber war er gestolpert. Damals war das untere Ende des Riemens unter einer dicken Schicht Neuschnee verborgen gewesen. Warum hatte er das nicht da schon näher untersucht?
Er holte das Handy heraus, rief Brattberg an und unterrichtete sie über seinen Fund.
»Streng genommen müssen wir erst mit dem Hausbesitzer reden, bevor wir da reingehen. Eine Hundeleine am Torpfosten reicht als Grund nicht aus.«
»Aber es passt alles. Er kennt den Ort von früher. Es ist sein Elternhaus. Julie Edvardsen geht hier jeden Abend mit ihrem Hund vorbei, Fredrik Alm hat beobachtet, dass sie abends mal mit jemandem geredet hat, der hier Schnee geschoben hat, am Pfosten des Gartentors hängt eine Hundeleine und die Adresse ist ganz in der Nähe unseres ersten Tatorts. Er kann Silje Rolfsen von hier auf den Schultern zum Fundort getragen haben. Deshalb hat er kein Auto benutzt. Was brauchen wir da noch mehr?«, fragte Singsaker.
»Gib mir eine halbe Stunde«, sagte Brattberg. »Und lass mich erst die nötigen Telefonate führen.«
»Weißt du, was ein Verrückter wie er im Laufe einer halben Stunde alles tun kann? Er weiß, dass wir ihm auf den Fersen sind. Er ist verzweifelt.«
»Eine Viertelstunde«, sagte Brattberg. »Und geh nicht allein rein, ich schick dir jemanden.«
Singsaker legte auf und ging zum Haus. Auch eine Viertelstunde war eine Ewigkeit. Womöglich hatte der Mörder ihn und das Auto vom Fenster aus gesehen. Singsaker wollte gar nicht daran denken, auf welche Ideen er kommen konnte, wenn er in Panik geriet. Als er an der Tür war, wusste er noch nicht, was er tun sollte.
Ich kann ja mal die Hand auf die Klinke legen, dachte er und drückte sie vorsichtig nach unten.
Die Tür war unverschlossen.
*
Julie Edvardsen spürte eine wilde, vollkommen irrationale Hoff nung. Er geht an meiner Tür vorbei und zurück nach oben und hat vergessen, bei mir abzuschließen, dachte sie, als sie seine Schritte hörte.
Doch dann blieb er plötzlich stehen und kam zurück zu ihrer Tür, öffnete sie langsam und stand plötzlich wieder bei ihr im Verschlag.
»Komm«, sagte er mit flacher Stimme.
Er packte sie an den Haaren und zog sie hinter sich her in den anderen Verschlag. Dort ließ er sie los, und sie sank schluchzend zu Boden. In diesem Moment hoffte sie fast, dass er dem Grauen endlich ein Ende machte. Sie wusste nicht, ob sie das alles noch lange durchhielt. Dann sah sie den Elektroschocker in seiner Hand und wusste, dass er sie noch ein Weile am Leben halten wollte.
»Ich muss endlich schlafen«, sagte er mit einer unheimlichen Ruhe. »Aber vorher müssen wir umziehen.«
Er nahm den Elektroschocker in die linke Hand, schloss die Augen für eine Sekunde und richtete die Waffe auf sie.
In diesem Moment hörte sie oben ein Geräusch. Die Tür? Schritte? Da war doch jemand? Oder bildete sie sich das bloß ein? Sie wollte schreien. Vielleicht konnte sie den Betreffenden ja warnen.
Aber sie schaffte es nicht, bevor der Strom durch ihren Körper jagte.
*
Hauptkommissar Singsaker blieb stehen, sah durch die geöff nete Tür und fragte sich, wann er zuletzt uneingeladen irgend wo eingetreten war.
Keine Fliegen zu sehen, dachte er. Das ist doch schon mal was. Dann ging er ins Haus und sah sich im Eingangsbereich um. Hier hatte offensichtlich vor Kurzem jemand renoviert. Die Garderobe mit der Schiebetür und die weißen Wände vermittelten ein Gefühl von Normalität. Aber diesen Eindruck hatte er auch in dem Heimdaler Wohnzimmer gehabt. Er schnup perte. Sog die Luft in seine Lungen und schmatzte. Kein Verwesungsgeruch. Dann ging er weiter ins Haus hinein und realisierte, dass die Renovierung nicht weit gekommen war. Die Küchenschränke hatten sicher schon in den Achtzigern bei seinem letzten Besuch hier gestanden, dachte er. Auf dem Küchentisch türmte sich der Müll.
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