Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
«und ich sage Ihnen, ich weiß nicht, ob ich mir Hoffnung machen kann oder nicht. Aber dies weiß ich: So arm ich auch sein mag, hat es doch Tage gegeben, da die reiche Erbin es nicht verschmäht hat, auf meine Armut herabzusehen; und jeder Mann, der sie heiraten will, tut dies nur über meine Leiche. Ein Glück für Sie», setzte ich düster hinzu, «dass ich bei unserem Duell nicht wusste, welche Absichten Sie hinsichtlich Lady Lyndons hegen. Mein armer Junge, Sie sind ein beherzter Bursche, und ich mag Sie. Mein Degen ist der Erste
in Europa, und Sie würden andernfalls in einem Bett liegen, das schmaler ist als dieses, in dem Sie sich jetzt befinden.»
«Junge!», sagte Lord George. «Ich bin keine vier Jahre jünger als Sie.»
«An Erfahrung sind Sie vierzig Jahre jünger als ich. Ich habe alle Lebenslagen kennengelernt. Mein Vermögen habe ich durch eigene Tüchtigkeit und Kühnheit erworben. Als gemeiner Soldat habe ich in vierzehn blutigen Schlachten gekämpft, habe dreiundzwanzig Duelle gefochten und bin dabei nur ein einziges Mal verwundet worden, und zwar durch den Degen eines französischen maître d’armes , 336 den ich getötet habe. Mit siebzehn bin ich als Bettler aufgebrochen; jetzt bin ich siebenundzwanzig und besitze zwanzigtausend Guineen. Meinen Sie etwa, ein Mann mit meiner Courage und Tatkraft könnte nicht alles erreichen, was er anstrebt, und dass ich auf meine Ansprüche der Witwe gegenüber verzichten werde?»
Diese Rede entsprach nicht in allem der Wahrheit (denn ich hatte meine Schlachten, die Duelle und den Reichtum ein wenig multipliziert); ich konnte jedoch sehen, dass sie den gewünschten Eindruck auf den jungen Gentleman machte, der diesen meinen Äußerungen
sehr ernst lauschte und den ich bald verließ, um ihn alles verdauen zu lassen.
Ein paar Tage darauf besuchte ich ihn erneut und brachte einige der Briefe mit, die Lady Lyndon und ich gewechselt hatten. «Hier», sagte ich, «schauen Sie, ich zeige Ihnen das im Vertrauen, das ist eine Locke von Myladys Haar; hier sind ihre Briefe, unterzeichnet mit Calista und gerichtet an Eugenio. Hier ist ein Gedicht, ‹Wenn Sol die Au mit Licht bedeckt und Cynthia fahle Strahlen streut›, von Mylady an Ihren gehorsamsten Diener gerichtet.»
«Calista! Eugenio! Sol bedeckt die Au mit Licht», rief der junge Lord. «Träume ich? Also, lieber Barry, die Witwe hat dasselbe Gedicht auch mir geschickt! ‹Vom Sonnenschein zur Lust geweckt, im Zwielicht sinnend und erfreut. ›»
Ich konnte nicht anders, ich musste laut lachen, als er dies zitierte. Tatsächlich waren es dieselben Verse, die meine Calista an mich gerichtet hatte. Und als wir die Briefe verglichen, stellten wir fest, dass ganze Abschnitte von besonderer Eloquenz in beiden Korrespondenzen auftauchten. Da sieht man, was es bedeutet, Blaustrumpf zu sein und allzu gern Briefe zu schreiben!
Völlig verstört legte der junge Mann die Blätter beiseite.
«Dem Himmel sei Dank!», sagte er nach einer längeren Pause. «Dem Himmel sei Dank, dass ich sie los bin! Ach, Mr Barry, was für eine Frau hätte ich womöglich geheiratet, wären mir nicht glücklicherweise diese Blätter unter die Augen gekommen! Ich habe, wie ich gestehen muss, Sir, geglaubt, Mylady Lyndon hätte ein Herz, wenn auch kein besonders warmes, und man könnte ihr trauen. Aber sie jetzt noch heiraten! Lieber würde ich meinen Diener auf die Straße schicken, dass er mir eine Gemahlin besorgt, als mich mit solch einer ephesischen Matrone 337 einzulassen.»
«Mylord George», sagte ich, «Sie wissen nicht viel von der Welt. Bedenken Sie, welch einen schlechten Gatten Lady Lyndon hatte, und seien Sie nicht erstaunt, dass sie ihrerseits gleichgültig ist. Ich wage auch zu wetten, dass sie nie die Grenzen harmloser Galanterie überschritten oder über die Abfassung eines Sonetts oder eines billet doux 338 hinaus gesündigt hat.»
«Meine Frau», sagte der kleine Lord, «soll weder Sonette noch billets doux schreiben, und ich bin von Herzen froh bei dem Gedanken, dass ich noch rechtzeitig erkannt habe, in welch
herzloses Weib ich mich für einen Moment verliebt wähnte.»
Der verwundete junge Edelmann war entweder, wie bereits gesagt, sehr grün und in weltlichen Dingen unerfahren – denn es ist absurd anzunehmen, ein Mann gäbe vierzigtausend im Jahr auf, nur weil die damit verbundene Dame einem jungen Burschen ein paar empfindsame Briefe geschrieben hat; oder er war – und zu dieser Annahme neige ich –
Weitere Kostenlose Bücher