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Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Titel: Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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könnte, berührte mich sehr, da ich immer ein überaus pflichtbewusster Sohn gewesen war; ich beschloss, so bald wie möglich zu ihr zu reisen und mich der, wie ich wusste, unausweichlichen Szene mit Vorwürfen und Zorn um der, wie ich
hoffte, ebenso gewissen Versöhnung willen zu stellen.
    Eines Abend hatte ich einige der vornehmsten Herren Dublins bei mir bewirtet und brachte, ein paar Wachskerzen in der Hand, eben Mylord den Marquis treppab, als ich vor der Türschwelle eine Frau in einem grauen Mantel sitzen sah; da ich sie für eine Bettlerin hielt, reichte ich ihr eine Münze, und nachdem ich allen eine gute Nacht gewünscht und die Tür hinter mir geschlossen hatte, begannen meine vornehmen Freunde, die dem Wein gründlich zugesprochen hatten, Schabernack mit ihr zu treiben.
    Ich war sehr überrascht und betroffen, als ich später erfuhr, dass die verhüllte Frau niemand anders als meine Mutter gewesen war. In ihrem Stolz hatte sie geschworen, sie werde mein Haus nicht betreten, dank ihrer natürlichen Muttergefühle sehnte sie sich jedoch danach, das Gesicht ihres Sohns noch einmal zu sehen, und deshalb hatte sie sich verkleidet vor meine Tür gesetzt. Übrigens hat meine Erfahrung mich gelehrt, dass Mütter die einzigen Frauen sind, die einen nie betrügen und deren Zuneigung durch alle Prüfungen hindurch Bestand hat. Man bedenke die Stunden, die die
gute Seele einsam auf der Straße verbracht haben muss, wo sie dem Lärm und der Fröhlichkeit aus meiner Wohnung lauschte, dem Klirren der Gläser, dem Gelächter, den Liedern und dem Johlen.
    Während meiner Affaire mit Lord George, als es für mich aus den genannten Gründen nötig wurde, unauffindbar zu sein, dachte ich, nun sei die richtige Zeit, mit meiner lieben Mutter Frieden zu schließen. Da ich mich in Bedrängnis befand, würde sie mir Zuflucht nicht verweigern; daher sandte ich ihr die Nachricht, dass ich, durch ein Duell in Schwierigkeiten geraten, zu ihr unterwegs sei und mich verbergen müsse. Ich kam eine halbe Stunde nach dem Boten an, und wahrlich konnte ich über den Empfang nicht klagen, denn zunächst wurde ich von der barfüßigen Magd, die Mrs Barry bediente, in einen kahlen Raum geführt, dann ging die Tür auf, und die arme Mutter warf sich mit einem Schrei in meine Arme, ganz verzückt vor Freude, die ich nicht zu beschreiben versuchen werde – allein Frauen, die nach zwölfjähriger Trennung ihr einziges Kind wieder in den Armen halten, wissen, wovon ich spreche.
    Reverend Mr Jowls, meiner Mutter Seelsorger, war der Einzige, dem während meines Aufenthalts
die Tür zu ihrer Behausung offen stand und der sich auch nicht hätte abweisen lassen. Er mischte sich ein Glas Rumpunsch, wie er ihn immer auf Kosten meiner guten Mutter zu trinken schien, ächzte laut und begann sogleich, mir eine Predigt über die Sündhaftigkeit meines bisherigen Lebens zu halten, vor allem über die der schrecklichen Tat, die ich verübt hatte.
    «Sündhaft», sagte meine Mutter, die sich sträubte, als ihr Sohn angegriffen wurde, «sicherlich sind wir alle Sünder, und Ihnen, Mr Jowls, verdanke ich doch das unsagbar segensreiche Wissen um diese Tatsache. Aber wie hätte der arme Junge sich denn sonst verhalten sollen?»
    «Ich hätte den Gentleman aufgefordert, den Trunk, den Streit und dieses ruchlose Duell überhaupt ganz zu meiden», antwortete der Geistliche.
    Aber meine Mutter brachte ihn zum Schweigen, indem sie sagte, solch ein Betragen möge ja Personen seines Standes und seiner Herkunft angemessen sein, komme jedoch weder einem Brady noch einem Barry zu. Sie war sogar ganz begeistert von der Vorstellung, dass ich den Sohn eines englischen Marquis in einem Duell zur Ader gelassen hatte; um sie zu trösten,
erzählte ich ihr von einem Dutzend weiterer Duelle, die ich bestritten und über die ich den Leser teilweise bereits informiert habe. Da mein letzter Gegner sich nicht in Lebensgefahr befand, als ich die Nachricht über seinen bedrohlichen Zustand verbreitete, war es nicht unbedingt nötig, mich zu verbergen. Aber die Witwe, meine Mutter, kannte die Tatsachen nicht so gut wie ich; sie ließ ihr Haus verbarrikadieren, und Becky, die barfüßige Dienstmagd, war ständig auf Posten, um Alarm zu schlagen, wenn Amtleute mich suchen sollten.
    Der Einzige, den ich erwartete, war jedoch Ulick, mein Vetter, der mir die willkommene Nachricht von Lady Lyndons Eintreffen übermitteln sollte; ich gebe außerdem zu, nach zwei Tagen strenger Abgeschiedenheit

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