Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
aufs College geschickt zu haben; Tatsache ist jedoch, dass er diese aus eigener Entscheidung nicht besuchte. Ich hatte es ihm wiederholt angeboten (da ich von seiner Dreistigkeit so wenig wie möglich zu sehen wünschte), aber ebenso oft lehnte er ab, und lange Zeit konnte ich nicht verstehen, welcher Zauberbann ihn in einem Haus festhielt, in dem er alles andere als Behaglichkeit empfunden haben muss.
Schließlich kam es jedoch heraus. Zwischen Lady Lyndon und mir gab es häufig Streit, wobei
manchmal sie im Unrecht war, manchmal ich, und da wir beide nicht von engelhaftem Temperament waren, ging es oft hoch her. Ich war häufig berauscht, und welcher Gentleman ist in diesem Zustand schon Herr seiner selbst? Vielleicht habe ich dann meine Lady wirklich recht grob behandelt, ein- oder zweimal mit einem Glas nach ihr geworfen und sie mit wenig schmeichelnden Begriffen belegt. Es mag sein, dass ich ihr mit dem Tode gedroht (obwohl ihr Tod ganz offensichtlich nicht in meinem Interesse war) und sie, kurzum, erschreckt habe.
Nach einer dieser Streitereien rannte sie schreiend durch die Gänge, und ich, betrunken wie ein Lord, torkelte hinter ihr her; es scheint, dass Bullingdon von dem Lärm aus seinem Zimmer gelockt wurde, und als ich sie fast eingeholt hatte, stellte mir der verwegene Lümmel ein Bein – meine Beine waren nicht mehr sehr standfest –, fing seine Mutter, die ohnmächtig wurde, auf und trug sie in sein Zimmer. Dort schwor er auf ihre Bitten hin, er werde das Haus niemals verlassen, solange sie noch mit mir vereint sei. Ich wusste gar nichts von diesem Versprechen, ja nicht einmal von der beschwipsten Posse, die ihm vorangegangen war. Ich wurde«hochachtungsvoll», wie man so sagt, von
meinen Dienern aufgehoben und zu Bett gebracht und konnte mich morgens an das, was geschehen war, ebenso wenig erinnern wie an meine Zeit an der Mutterbrust. Jahre später erzählte Lady Lyndon mir davon, und ich erwähne es hier nur, da es mir ermöglicht, ehrenhaft auf «nicht schuldig» zu plädieren, wenn gegen mich wieder einmal einer der absurden Vorwürfe der Grausamkeit wider meinen Stiefsohn erhoben wird. Sollen meine Verlästerer, wenn sie es wagen, doch Entschuldigungen für das Benehmen eines frechen Grobians vorbringen, der nach dem Abendessen seinem naturgegebenen Vormund und Stiefvater ein Bein stellt.
Dieser Vorfall brachte Mutter und Sohn einander vorübergehend etwas näher, aber ihre Charaktere waren zu verschieden. Ich glaube, sie liebte mich zu sehr, um sich je wirklich mit ihm auszusöhnen. Als er zum Mann heranwuchs, nahm sein Hass auf mich ein kaum vorstellbares Ausmaß an Bösartigkeit an (was ich, wie ich versichern kann, mit Zins und Zinseszins erwiderte). Ich glaube, er war sechzehn, als ich einmal im Sommer aus dem Parlament heimkam und ihn wie gewöhnlich zu verdreschen gedachte, worauf mir der dreiste junge Galgenstrick zu verstehen gab, er werde keine weiteren
Züchtigungen von mir dulden, und zähneknirschend sagte er, er werde mich erschießen, falls ich Hand an ihn legte. Ich betrachtete ihn. Er war tatsächlich zu einem großen jungen Mann herangewachsen, und ich entsagte diesem notwendigen Teil seiner Erziehung.
Etwa zu dieser Zeit stellte ich die Kompanie auf, die in Amerika dienen sollte. Meine Feinde in der Umgebung (seit meinem Sieg über die Tiptoffs hatte ich deren reichlich, wie ich wohl kaum zu betonen brauche) verbreiteten die schändlichsten Berichte über mein Verhalten gegenüber diesem teuren jungen Taugenichts von Stiefsohn, und sie begannen anzudeuten, dass ich mich seiner in Wahrheit entledigen wolle. Meine Loyalität gegenüber meinem König wurde so zu einem von mir ausgeheckten scheußlichen, widernatürlichen Anschlag auf Bullingdons Leben verdreht, und es hieß, ich hätte die für Amerika bestimmte Truppe allein zu dem Zweck aufgestellt, dem jungen Viscount das Kommando zu übergeben und ihn auf diese Weise loszuwerden. Ich bin nicht einmal sicher, dass sie nicht schon den Namen des Mannes festgelegt hatten, der den Befehl erhalten habe, ihn im Verlauf des ersten Gefechts umzubringen, und die Höhe der Summe, die ich
ihm für diese heikle Dienstleistung verheißen habe.
In Wahrheit war ich aber damals der Meinung (und die Erfüllung dieser Prophezeiung hat sich zwar verzögert, doch habe ich keinen Zweifel, dass sie in naher Zukunft eintreten wird), dass Lord Bullingdon keineswegs meiner Hilfe bedurfte, um ins Jenseits befördert zu werden, sondern den Weg
Weitere Kostenlose Bücher