Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
später ereigneten? Vielleicht habe ich die Beherrschung verloren, und sicher habe ich ihn danach sehr streng behandelt. Aber den Streit hatte er
begonnen, nicht ich; und die schlimmen Folgen, die sich daraus ergaben, waren allein ihm zuzuschreiben.
Da man das Laster am besten im Keim erstickt und da das Haupt einer Familie seine Autorität am besten so ausübt, dass daran kein Zweifel bleibt, nahm ich die erste Gelegenheit wahr, mit Master Bullingdon ins Reine zu kommen, und als er sich am Tag nach seiner Ankunft bei uns weigerte, eine kleine Aufgabe zu übernehmen, die ich ihm aufgetragen hatte, ließ ich ihn in mein Arbeitszimmer bringen und verdrosch ihn gründlich. Ich gebe zu, dass der Vorgang mich zunächst in einige Aufregung versetzte, denn ich hatte nie zuvor einen Lord mit der Peitsche berührt; ich gewöhnte mich jedoch schnell an diese Übung, und sein Rücken und meine Peitsche wurden bald so gut miteinander bekannt, dass es, wie ich wohl sagen darf, nach kurzer Zeit zwischen uns keinerlei Förmlichkeit mehr gab.
Wollte ich alle Beispiele von Aufsässigkeit und ungeschliffenem Verhalten des jungen Bullingdon aufführen, würde ich den Leser langweilen. Seine Beharrlichkeit, mir zu widerstehen, war, glaube ich, noch größer als meine, ihn zu züchtigen; denn wie entschlossen ein Mann
auch sein mag, seinen elterlichen Pflichten nachzukommen, kann er doch seine Kinder nicht den ganzen Tag lang oder für jedes einzelne Vergehen prügeln. Ich gelangte zwar in den Ruf, ihm ein sehr grausamer Stiefvater zu sein, aber ich gebe mein Wort darauf, dass ich ihm verdiente Züchtigungen öfter ersparte als verabreichte. Überdies war er mich ja acht ganze Monate im Jahr los, wenn ich in London weilte, um meinen Sitz im Parlament und meinen Platz am Hof meines Souveräns einzunehmen.
In dieser Zeit hatte ich keine Einwände dagegen, ihn vom Latein und Griechisch des alten Pfarrers profitieren zu lassen, der ihn getauft und erheblichen Einfluss auf den widerspenstigen Burschen hatte. Nach einer Szene oder einem Streit zwischen uns suchte der junge Rebell gewöhnlich Zuflucht und Rat im Pfarrhaus, und ich muss zugeben, dass der Pfarrer bei unseren Auseinandersetzungen ein gerechter Schiedsrichter war. Einmal führte er den Jungen an der Hand zurück nach Hackton und brachte ihn sogar gleich zu mir, obwohl er geschworen hatte, zu meinen Lebzeiten nie wieder den Fuß über meine Schwelle zu setzen; er sagte, er habe Seine Lordschaft dazu gebracht, seinen Fehler einzusehen und sich jeder Züchtigung
zu unterwerfen, die zu verhängen mir angemessen erscheine. Worauf ich ihn in Gegenwart von zweien oder dreien meiner Freunde verprügelte, mit denen ich dort gesessen und gezecht hatte; gerechterweise will ich sagen, dass er eine recht strenge Bestrafung ohne eine Träne oder einen einzigen Laut ertrug. Dies soll zeigen, dass ich in der Behandlung des Jungen nicht allzu hart war, da ich ja die Erlaubnis des Geistlichen selbst hatte, ihn so zu züchtigen, wie es mir tunlich erschien.
Zwei- oder dreimal versuchte Lavender, der Hauslehrer von Bryan, Lord Bullingdon zu bestrafen; aber glauben Sie mir, der Lümmel war zu stark für ihn und nagelte den Oxfordmann mit einem Stuhl auf dem Boden fest, sehr zur Begeisterung des kleinen Bryan, der laut rief: «Bravo, Bully, hau ihn, hau ihn!» Und das tat Bully auch so gründlich, dass der Hauslehrer ihn danach nie wieder selbst zu bestrafen versuchte, sondern sich damit begnügte, mir, seinem natürlichen Hüter und Vormund, Berichte über die Missetaten Seiner Lordschaft zu erstatten.
Seltsamerweise war Bullingdon dem Kind gegenüber sehr umgänglich. Er mochte den kleinen Kerl – das ging übrigens jedem so, der unseren Liebling sah –, und zwar umso mehr,
sagte er, weil er «ein halber Lyndon» sei. Er hatte auch allen Grund, ihn zu mögen, denn auf des lieben Engelchens Bitte hin –«Papa, bitte schlag Bully heute nicht!» – habe ich mich oft beherrscht und ihm eine Dresche erspart, die er sich gründlich verdient hatte.
Zuerst ließ er sich kaum herab, mit seiner Mutter auch nur zu sprechen. Er sagte, sie gehöre nicht mehr zur Familie. Warum solle er sie lieben, da sie ihm doch nie eine Mutter gewesen sei? Der Leser mag jedoch eine Ahnung vom sturen und verdrießlichen Wesen des Jungen bekommen, wenn ich einen bestimmten Vorfall mit ihm erwähne. Man hat mich häufig bezichtigt, ihm die einem Gentleman zustehende Erziehung versagt und ihn nicht auf eine Schule oder
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