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Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Titel: Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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verzweifelt, dass ich mich am liebsten selbst erschossen hätte. Ein Verbrechen, natürlich, aber vielleicht hätte ich es wirklich besser getan, denn was war schon mein Leben, seit diese liebliche Blume meinem Busen entrissen wurde? Eine Abfolge von Elend, Kränkungen, Katastrophen und geistigen wie leiblichen Leiden, wie sie nie einem anderen Christenmenschen zugefallen sind.
    Lady Lyndon, allezeit hysterisch und nervös, wurde nach der Katastrophe unseres lieben Jungen noch unruhiger als je zuvor und ergab sich mit solcher Inbrunst der Frömmigkeit, dass man sie zuweilen für geisteskrank hätte halten können. Sie bildete sich ein, Visionen zu schauen. Sie sagte, ein Engel vom Himmel habe ihr gesagt, Bryans Tod sei ihre Strafe für die Vernachlässigung ihres Erstgeborenen. Dann erklärte
sie, Bullingdon lebe noch; sie habe ihn im Traum gesehen. Dann wieder überkam sie Kummer ob seines Todes, und sie trauerte so heftig um ihn, als wäre er als letzter unserer Söhne gestorben, nicht unser Liebling Bryan, der verglichen mit Bullingdon war, was ein Diamant verglichen mit einem gewöhnlichen Stein ist. Ihre Anfälle waren schmerzlich zu betrachten und schwierig zu beherrschen. In der Gegend wurde nun erzählt, die Gräfin sei verrückt geworden. Meine niederträchtigen Feinde zögerten nicht, das Gerücht zu bekräftigen und aufzublasen und setzten hinzu, ich sei der Grund für ihren Wahnsinn, ich hätte sie in den Irrsinn getrieben, Bullingdon umgebracht, meinen eigenen Sohn ermordet; ich weiß nicht, was sie mir noch alles anlasteten. Ihre abscheulichen Verleumdungen erreichten mich sogar in Irland; meine Freunde zogen sich von mir zurück. Sie begannen, meine Jagd zu verlassen, wie es auch in England geschehen war, und wenn ich zum Pferderennen oder zum Markt ging, fanden sie plötzlich Gründe, meine Nähe zu meiden. Man nannte mich den «Bösen Barry», den «Teufel Lyndon», was Sie wollen; die Leute vom Land dachten sich wundersame Märchen über mich aus; die Priester sagten, ich hätte wer weiß
wie viele deutsche Nonnen im Siebenjährigen Krieg umgebracht, und der Geist des ermordeten Bullingdon spuke in meinem Haus. Auf dem Jahrmarkt einer nahe gelegenen Stadt sagte ein Bursche, der nicht weit von mir stand, als ich für einen meiner Leute eine Jacke kaufen wollte: «Das ist eine Zwangsjacke; die kauft er für Lady Lyndon.» Hieraus entspann sich ein Märchen über meine Grausamkeit meiner Frau gegenüber, und hinsichtlich meiner auf sie angewandten einfallsreichen Foltermethoden erzählte man viele Einzelheiten.
    Der Verlust meines lieben Jungen bedrückte nicht nur mein Vaterherz, sondern schädigte auch ganz erheblich meine persönlichen Interessen; denn da es nun keinen unmittelbaren Erben des Besitzes mehr gab und man es wegen Lady Lyndons schlechter Gesundheit für unwahrscheinlich hielt, dass sie weitere Kinder gebären und eine Familie hinterlassen könnte, begannen die nächsten Erbberechtigten, diese widerwärtige Familie Tiptoff, mich auf hundert verschiedene Weisen zu behelligen, und setzten sich an die Spitze der Gruppe von Feinden, die zu meinen Ungunsten Geschichten in Umlauf brachten. Sie drängten sich auf hunderterlei Art zwischen mich und meine Verwaltung
des Besitzes, erhoben lautes Geschrei, wenn ich einen Stock schnitt, einen Schacht grub, ein Bild verkaufte oder ein paar Unzen Silber zum Umschmelzen fortschickte. Sie belästigten mich mit endlosen Prozessen, erwirkten Verfügungen beim Kanzleigericht, behinderten meine Beauftragten in ihrer Arbeit so sehr, dass man hätte meinen können, mein Eigentum gehöre nicht mir, sondern ihnen, und sie könnten damit verfahren, wie es ihnen beliebte. Schlimmer noch: Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie unter meinem eigenen Dach mit meinem Personal intrigierten und verhandelten, denn ich konnte kein Wort mit Lady Lyndon wechseln, ohne dass es allgemein bekannt wurde, und mich nicht mit meinem Kaplan und Freunden betrinken, ohne dass irgendwelche scheinheiligen Schufte davon erfuhren, alle Flaschen, die ich leerte, zählten, ebenso wie alle Flüche, die ich ausstieß. Ich gebe zu, dies waren nicht wenige. Ich bin einer von der alten Schule, habe immer freimütig gelebt und geredet, und wenn ich tat und sagte, was mir gefiel, war ich jedenfalls nicht so schlecht wie mancher mir bekannte psalmodierende Schurke, der seine Schwächen und Sünden verhehlt, indem er sie hinter einer Maske der Heiligkeit versteckt.

    Da ich hier alles offenlege

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