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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Stadt das Geld, das der Bau verschlang, nicht in ein nutzloses Prunkgebäude, sondern in Wohnungen für ledige Frauen mit Kindern steckte. Sie hatten Petitionen bis hin zum Premierminister in London gesandt, doch überall ließ man sie abprallen.
    Die Wohnungen, die sie forderten, waren ein Tropfen auf den heißen Stein, aber einer, der Leben retten konnte. Wer in diesem Land ledig ein Kind zur Welt brachte, bekam von niemandem einen Penny zu dessen Unterhalt. Die Erzeuger der Kinder durften sich ungestraft aus dem Staub machen, und auch der Staat war zu nichts verpflichtet. Mit solchem Unrecht wollte man Frauen zu einem untadeligen Lebenswandel zwingen, doch in Wahrheit zwang man sie dazu, ihre Kinder einer Baby-Farmerin zu geben, die Säuglinge für Geld in Pflege nahm und sie im besten Fall kläglich verhungern ließ.
    Eine von Lydias Kameradinnen – Kate, eine junge Dockarbeiterin – hatte diesen Gedanken nicht ertragen und das Leben ihres Kindes beendet, ehe es begann. Auf der Demonstration heute hatte sie gefehlt, weil sie am Morgen verhaftet worden war. Wenn kein Wunder geschah, würde man sie für die verbotene Abtreibung mit vierzehn Jahren Zwangsarbeit oder mit dem Tod bestrafen, wobei das eine dem anderen gleichkam.
    Tief bedrückt betrat Lydia ihr Haus. Kurz schnupperte sie, um den ersehnten Duft nach flackerndem Feuer und Fleisch, das in der Pfanne brutzelte, einzusaugen, doch es roch nur nach der Nässe ihrer Kleider. Ihre Mutter lag mit einer Erkältung danieder, aber Horatio war bereits zu Hause, stürmte die Treppe hinunter und wollte sie umarmen. Statt einer Begrüßung raunzte sie ihn an. War der Herr des Hauses sich zu fein, einen Topf Kartoffeln aufzusetzen und ein paar Lammkoteletts in die Pfanne zu werfen, wenn die Frauen, die ihn sonst verhätschelten, einen Tag lang verhindert waren? War es unter seiner männlichen Würde, einen Kamin anzuheizen, damit ihre kranke Mutter nicht erfror?
    Noch immer zog er kurz, wie um sich zu ducken, den Kopf ein, wenn sie ihn ausschalt, doch er hatte sich gleich wieder in der Gewalt. »Hattest du einen schlimmen Tag?«, fragte er und legte die Arme um sie.
    Sie wusste, sie ließ ihren Zorn und ihre Bitterkeit viel zu oft an ihm aus. Es war nicht seine Schuld. Er tat, was er konnte. »Ich habe Hunger«, blaffte sie und suchte sich zu befreien, ging dabei jedoch ziemlich halbherzig vor.
    »Lass mich doch jemanden einstellen«, murmelte er und küsste ihr Haar.
    »Wer sind wir? Das Prinzenpaar von Wales?«, fuhr sie ihn an. »Ich will keine Frau, die für mich schuftet wie für irgendeine Wohlgeborene aus deinen Kreisen. So ein Leben widert mich an.«
    Seine Hände umfassten ihr Gesicht. Er roch gut, und in seinen Augen funkelte Wärme. »Es tut mir leid, dass ich mich um nichts gekümmert habe. Ich fürchte, ich kann einen kompletten Londoner Bezirk ausleuchten, aber ich habe keine Ahnung, wie man ein Kotelett brät.«
    »Und darauf bist du auch noch stolz.«
    »Nein, Lydia«, erwiderte er friedfertig. »Aber ich will mich auch nicht dafür teeren und federn lassen. Ich kann nicht kochen. Und ich habe vergessen, Feuer zu machen, weil mir auf dem Bahnhof Sukie Ralphs Stieftochter in die Arme gefallen ist, die vollkommen außer sich war, nachdem ein paar Rotzlümmel sie belästigt hatten. Bitte mach mich nicht zur frauenfeindlichen Bestie dafür. Wenn du eine halbe Stunde auf das Mädchen achten könntest, heize ich rasch ein und kaufe im Straßenverkauf die größten Pasteten der Stadt. Und einen roten Franzosen köpfe ich auch, und dann erzählst du mir, was dich so aufbringt, ja?«
    »Du bringst mich auf«, versetzte sie, ließ aber zu, dass er sie an sich zog.
    »Nur ich?«
    »Nein, du und deinesgleichen. Vergiss die Pasteten, köpf den roten Franzosen. Ich glaube, wenn ich nicht sofort in einen Sessel komme und meine Füße hochlege, falle ich tot um.«
    Er rückte ihr die Fußbank vor ihren Lieblingssessel, wickelte sie in eine Decke und brachte ihr ein bis zum Rand gefülltes Glas Wein. Dann kniete er sich vor den Kamin und begann ein Feuer zu schüren, und sie sah seinem Rücken zu und spürte, wie die Lebensgeister in ihren Körper zurückströmten. »Lydia«, sagte er, mit dem Feuer beschäftigt.
    »Was ist?«
    »Auch wenn ich es mir gerade wieder mit dir verscherzt habe – ich liebe dich.«
    Vielleicht könnte ich nicht weiterkämpfen, wenn du das nicht tätest, dachte sie. Vielleicht könnte ich die ständigen Niederlagen nicht wegstecken, die

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