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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Hemd auszog und das Victoriana schröpfte, als das heilige Mount Othrys über die Klinge zu schicken.
    Das ganze Volk hatte überlebt, selbst seine Tochter, die sie irgendwann verhaften und zwangsfüttern würden. Aber das Balg war starrsinnig, und was er als Vater nicht geschafft hatte, würde auch den Vollzugsbeamten nicht gelingen – eher jagten sie ihr den Speisebrei in den falschen Hals und erstickten sie. Seine Kinder waren zäh, und zerbrochen war keiner als er. Leichter Regen setzte ein, und er hatte wie so oft nicht einmal einen Schirm bei sich. Fremde, die ihn sahen, mochten ihn für einen bedeutungslosen Greis halten, der sich mit Toten unterhielt, weil im Leben kein Mensch mehr etwas von ihm wollte. Von der Feuchtigkeit würde sein Knochenreißen schlimmer werden. Traurig wandte er sich ab und machte sich auf den Heimweg, wobei er die Blüten des Straußes zerrupfte und auf unbekannten Gräbern verstreute.
    Und dann sah er sie – Mildred Adams. Das Letzte, was er von ihr erwartet hätte, war, dass sie auf den Friedhof trottete und ihre verhassten Schwiegerleute begoss. Aber genau das tat sie. Sie hatte ihre Erstgeborene, die geschlechtslose Georgia, bei sich, die ihr die Blumenkörbe hinterherschleppte, und verteilte großzügig Arrangements über den sterblichen Resten von Nell Weaver, George Weaver und Amelia Ward. Hector musste stehen bleiben. Wendig wie als Mädchen beugte Mildred sich vor, um die Blumen in den Schalen zu befestigen. Ihr Hinterteil ragte ihm entgegen, umspannt von schwarzem Satin und noch einmal so dreist und fest wie in ihren verlorenen Jugendjahren.
    Waren sie nicht herrlich gewesen? Waren wir nicht wie Götter, Mildred, bereit, bis zum Letzten zu kämpfen und unsere Kräfte zu messen? In diesem Augenblick begriff Hector, dass er nie klein beigeben konnte, dass er dieses prachtvolle Geschöpf geschlagen vor sich liegen sehen musste, ehe er das Jammertal des Lebens verließ. Du warst mein Schicksal, Mildred, und ich war deines. Wer von den Männchen in deinem Leben war dir ein ebenbürtiger Gegner, mein Tropf von Bruder vielleicht oder der Trottel März? Nur ich war es, Mildred. Von dem Tag an, an dem du in diese Stadt gekommen bist, war ich dir verfallen und du mir.
    »Es regnet«, sagte Georgia. »Du holst dir den Tod, Mutter.«
    »Das ist eine törichte Redensart«, schimpfte Mildred und schleuderte welke Blumen aus der Schale. »Der Tod holt die Leute.«
    »Wie auch immer, jedenfalls begreife ich nicht, warum du ausgerechnet jetzt noch zum Friedhof musstest. Die alten Herrschaften wären dir schon nicht davongerannt.«
    »Bist du dir dessen sicher?« Gewandt wie ein Fohlen drehte Mildred in gebückter Haltung den Kopf nach der Tochter und dekorierte dabei weiter ihre Schale. »Mir ist jedenfalls wohler zumute, wenn die alte Hexe versorgt ist und ich weiß, sie steigt mir nicht in der Nacht aufs Dach.«
    »Aber sonst gehen wir doch immer dienstags.«
    »Dienstag ist morgen«, belehrte sie Mildred. »Und morgen kommt meine Selene zurück und bringt in das verdammte Haus wieder Leben. Du kannst mir glauben, dass mich an meinem Freudentag keine zehn Teufel zu Nell Nasehoch Weaver auf den Friedhof kriegen.«
    »Ich glaub’s dir, Mutter. Ich hoffe, du lässt die arme Selene wenigstens den Mantel ausziehen, ehe du sie erdrückst.«
    Hector lächelte fein, während er im allmählich versiegenden Regen den Weg nach Hause antrat. Sein Leben lang war das seine Devise gewesen – kenne die Schwächen deiner Feinde, und du besitzt den Schlüssel zu deiner Stärke. Und die größte Schwäche eines jeden war und blieb, wie auch die Zeiten sich ändern mochten, der Mensch, den er liebte.
    Wer glaubte da, Hector Weaver sei ein alter Mann und habe ausgespielt? War es nicht höchste Zeit, dass Selene Ternan erfuhr, wie ihr wirklicher Name lautete und was für exquisites Blut in ihren Adern floss? Verzeih mir, beste Mildred. Ich kann dir auch jetzt keinen Frieden lassen, du bist noch immer zu grandios dafür. Und in Wahrheit wollte Mildred ja auch keinen Frieden, vermutlich hätte sie ihn so wenig ertragen wie er selbst. Wie hatte er annehmen können, ihrer beider Spiel sei schon vorbei? Er würde der niedlichen Selene, einer Enkelin, wie er sie hätte haben sollen, ein hübsches Willkommenskärtchen schreiben. Und wenn alles vorbei war, wenn der Tod, der die Leute holte, nach ihnen die Klaue ausstreckte, würde er mit einem letzten Streich das Titanenreich zu Fall bringen. Hatte sein Bruder kein

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