Die Moralisten
meinen Bademantel über und trat auf den Flur. Ich stand eine Weile vor ihrer Tür, ehe ich anklopfte. »Ich bin's«, flüsterte ich. »Darf ich hereinkommen?«
»Ja«, sagte mein Onkel. Ich öffnete die Tür und trat ins Zimmer. »Was machst du denn noch so spät?« fragte er.
»Ich hörte euch reden«, stieß ich hervor, »und wachte auf. Irgend etwas stimmt nicht. Das fühle ich. Was ist eigentlich los?«
Meine Tante und mein Onkel tauschten Blicke. »Nichts«, sagte mein Onkel. »Wir haben einen Umzug geplant - weiter nichts.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich. »Nach Arizona. Warum?« Sie antworteten nicht.
»Weil du krank bist? Ist das der Grund?« fragte ich. Er blickte mich an. »Du hast es also gehört?«
»Ja, ich kann's mir zusammenreimen. Ich bin kein Kind mehr.«
»Nun«, sagte er, »dann weißt du ja Bescheid.«
»Hör zu«, sagte ich und setzte mich auf die Bettkante, »ich habe etwas Geld auf einer Bank am Broadway, falls ihr was braucht.«
Er lächelte. »Nein, vielen Dank. Wir sind ganz gut situiert. Behalte es nur.«
»Wenn es eine Hilfe für euch ist, könnt ihr es gern haben. Es sind über fünfzehnhundert Dollar.« Das erstaunte ihn. »Fünfzehnhundert Dollar. Das ist eine Menge Geld. Wo hast du das her?«
»Ich hatte einen Job«, sagte ich und stand auf. »Davon erzähle ich euch später einmal. Aber wenn ihr das Geld jemals benötigt, braucht ihr es nur zu sagen.«
»Nein, mein Junge, wir brauchen es nicht. Aber vielen Dank für das Angebot.«
Als ich hinausgehen wollte, rief meine Tante mich zurück. »Komm her und gib mir einen Gutenachtkuß.«
Ich beugte mich zu ihr herab und küßte sie. »Du bist ein lieber Junge«, sagte sie lächelnd. »Nun geh wieder ins Bett und mach dir keine Gedanken darüber. Es wird schon alles gut werden.«
Ich ging wieder in mein Zimmer zurück und stieg ins Bett. Dann fiel mir ein, daß sie darüber geredet hatten, daß ich noch nicht sechzehn sei. Ich hatte vergessen zu fragen, was das eigentlich zu bedeuten habe. Erst wollte ich noch mal hingehen, aber dann beschloß ich, bis zum Morgen zu warten. Vielleicht, dachte ich, handelt es sich dabei um Geld. Darum war ich froh, daß ich ihnen gesagt hatte, ich könnte auch für mich allein aufkommen. Dann schlief ich ein.
Am nächsten Morgen verschlief ich die Zeit und mußte aus dem Haus rennen, ohne mit jemandem zu sprechen. Ich konnte ihnen nur zurufen: »Auf Wiedersehen! Bis nach der Schule!« Ich kam gerade noch rechtzeitig. Beim Essen traf ich Ruth. Ich setzte mich neben sie.
»Wie ist es dir inzwischen ergangen?« erkundigte ich mich.
»O. k. Ich bin eifrig am Büffeln. Du weißt ja, ich mache nach diesem Semester mein Abschlußexamen.«
»Ja, ich weiß.«
»Und wo hast du in der letzten Zeit gesteckt? Marty hast du schon seit einer Ewigkeit nicht mehr besucht. Ihr habt doch wohl keinen Streit gehabt, wie?«
»Nicht im geringsten. Aber wir sind eben mit ganz verschiedenen Dingen beschäftigt.«
»Na ja, komm doch mal wieder zu uns. Meine Eltern würden sich freuen, dich mal wiederzusehen.« Dann ging sie.
Ich blickte mich im Erfrischungsraum um. Irgendwie sah ich die Schule jetzt in einem anderen Licht. Vielleicht lag es daran, daß meine Tage hier gezählt waren, wenn die Familie nach Arizona zog.
Sofort nach dem Basketballtraining machte ich mich auf den Heimweg und kam gerade an, als die Kinder zum Spielen nach draußen gingen. Meine Tante saß im Wohnzimmer und las die Zeitung. Sie blickte auf, als ich mich zu ihr setzte. »Das ist heute die erste Gelegenheit für mich, mich mal hinzusetzen und die Zeitung zu lesen«, sagte sie.
»Ja«, sagte ich, und dann fragte ich, ohne weiter über ihre Worte nachzudenken: »Wann ziehen wir fort?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Da ist erst noch verschiedenes zu erledigen. Dein Onkel muß seinen Vertreterbezirk verkaufen. Dann müssen wir uns überlegen, wo wir hinziehen und wo du und die Kinder zur Schule gehen. Wir werden uns sehr einschränken müssen.«
»Ich kann arbeiten«, sagte ich.
»Ich hoffe, das ist nicht notwendig. Ich möchte, daß du die Schule fertigmachst und dann aufs College gehst. Hast du dir schon mal überlegt, was du werden möchtest?«
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Wenn du Lust hättest, könntest du ja Arzt oder Rechtsanwalt werden. Das würde uns sehr freuen, und es wäre für dich das Richtige.«
»Ich weiß es nicht. Es ist ja noch Zeit genug, darüber nachzudenken. Aber ehrlich, wie schlimm ist es mit
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