Die Mordbeichte
ob sie im Moment die Berührung eines Mannes nicht ertragen könnte.
Er riß sich zusammen und stellte die naheliegende Frage: »Hat er seinen Willen durchgesetzt?«
»Nein – ich glaube nicht.«
»Möchten Sie, daß ich einen Arzt rufe?«
»Um Himmels willen, nein! Allein schon der Gedanke, je mand könnte etwas erfahren, erfüllt mich mit Entsetzen.«
»Und Ihr Onkel?«
»Er ist bei einer sterbenden Frau im Krankenhaus. Es kann Stunden dauern, bis er zurückkommt.«
Fallon stand auf. »Gut. Ruhen Sie sich aus! Ich werde Ihnen einen Brandy holen.«
Sie schloß wieder die Augen. Die Lider waren durchschei nend. Sie sah sehr verwundbar aus.
Fallon ging nach unten. Er kniete neben Billy nieder, holte ein Taschentuch hervor, wickelte es um den Griff der Schere und zog sie heraus. Sie war nur sehr wenig blutig. Er reinigte die Schere und hob dann den Mantel des Jungen auf. Auto schlüssel fielen zu Boden. Er nahm sie automatisch an sich und breitete den Mantel über den Leichnam. Ekel und Ab scheu erfüllten ihn. Die Menschheit konnte gut ohne Billy Meehan auskommen. Er hatte sein Ende redlich verdient. Aber konnte Anna da Costa mit dem Wissen leben, ihn getötet zu haben? Selbst wenn das Gericht sie freisprechen sollte – die ganze Welt würde es wissen. Und bei dem Gedanken an die Erniedrigung dieses zarten Geschöpfes packte Fallon eine solche Wut, daß er dem Leichnam einen Fußtritt versetzte. Und im gleichen Augenblick kam ihm eine Idee. Was, wenn sie es überhaupt nie erfuhr – weder jetzt noch später? Was, wenn Billy vom Antlitz der Erde hinweggefegt würde, als hätte er nie existiert? Es gab eine Möglichkeit; und er schuldete es ihr auf jeden Fall, sie auszuprobieren.
Die Autoschlüssel sagten ihm, daß Billys Wagen irgendwo in der Nachbarschaft stand; und falls es der rote Scimitar war, würde es ein leichtes sein, ihn zu finden.
Fallon schlüpfte aus dem Haus und eilte über den Friedhof zur Seitenpforte. Der Scimitar stand nur wenige Meter ent fernt am Straßenrand. Er sperrte die Hecktür auf, und Tom my, der graue Whippet, bellte einmal und schnüffelte dann an seiner Hand. Die Anwesenheit des Hundes war ungünstig, aber nicht zu ändern.
Fallon schloß die Hecktür wieder und eilte ins Pfarrhaus zurück. Er zog den Mantel vom Leichnam und leerte systema tisch Billys Taschen, nahm ihm ein goldenes Medaillon, das an einem Kettchen um den Hals hing, einen Siegelring und eine Armbanduhr ab und steckte alles ein. Dann wickelte er den Leichnam in den Mantel, hievte ihn sich über die Schulter und ging. An der Pforte blieb er stehen und vergewisserte sich, daß die Luft rein war. Rasch steuerte er auf den Scimitar zu, öffnete die Hecktür mit einer Hand und ließ den Körper hineinplump sen. Der Whippet fing fast augenblicklich zu winseln an. Fallon schmiß die Tür rasch wieder zu und kehrte ins Pfarr haus zurück. Er wusch in der Küche die Schere gründlich mit heißem Wasser und legte sie wieder in den Nähkasten. Dann goß er etwas Brandy in ein Glas und ging damit nach oben.
Sie war schon fast eingeschlafen, setzte sich aber auf und trank den Brandy.
Fallon fragte: »Wollen Sie, daß Ihr Onkel erfährt, was passiert ist?«
»Ja – ja, ich glaube schon. Er sollte es wissen.«
»Gut. Schlafen Sie jetzt. Ich werde unten sein. Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich warte, bis Ihr Onkel zurück kommt.«
»Das kann noch Stunden dauern«, murmelte sie schlaf trunken.
»Das macht nichts.« Er ging zur Tür.
»Es tut mir leid, daß ich so eine Plage bin«, flüsterte sie.
»Ich habe Sie in diese Lage gebracht«, erinnerte er sie.
»Für alles unter diesem Himmel gibt es einen Grund – selbst für meine Blindheit. Wir erkennen ihn bloß nicht immer, weil wir so winzig sind, aber er ist da.«
Gott weiß, warum ihn ihre Worte seltsam trösteten.
Der Whippet verhielt sich ruhig während der Fahrt. Er saß zusammengekauert neben der Leiche, winselte nur gelegent lich.
Fallon fuhr die Abkürzung, die Varley am Morgen benutzt hatte, und näherte sich dem Krematorium von hinten. Die letzten hundert Meter schaltete er den Motor aus und ließ den Wagen den sanften Abhang zwischen den Zypressen hinun terrollen, obgleich das Haus des Verwalters gut eine Viertel meile weit ab lag. Er parkte den Scimitar seitlich von der Kapelle und verschaffte sich durch die zerbrochene Fenster scheibe in der Toilette
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