Die Mütter-Mafia
Nelly und setzte wütend hinzu: »Ich finde das so gemein von euch, dass ihr euch scheiden lasst und ich in so einem Loch wohnen muss.«
»Ein Funkloch«, sagte ich. »Das ist im Grunde sogar gut. Kein Elektrosmog und so. Trudi wird entzückt sein über so viel positive Energie. Ich erzähle euch jetzt eine Gute-Nacht-Geschichte. Von Goldlöckchen und dem neuen Haus. Ihr werdet sehen: Bei Tageslicht sieht alles schon ganz anders aus.«
Aber das war gelogen. Bei Tageslicht sah es genauso scheußlich aus, wenn nicht sogar noch scheußlicher. Das Badezimmer im Obergeschoss war in Gelb und Braun gehalten und so eigenartig geblümt, dass sich schon beim Zähneputzen eine Migräne ankündigte.
»Ich rufe jetzt bei Papi an und sage, dass er mich abholen soll!«, schrie Nelly, zum zehnten Mal seit sechs Uhr. Sie hatte bereits versucht, allen ihren Freundinnen eine SMS zu schicken, aber nicht mal im Garten hatte ihr Handy einen Empfang, was zu schier unerträglichen Tobsuchtsanfällen geführt hatte. In den Pausen hörte sie in ihrem Zimmer ohrenbetäubend »Sportfreunde Stiller«.
Ich hatte versucht, uns in der Küche ein Frühstück zu bereiten, aber Lorenz hatte den Kühlschank zwar abgetaut, jedoch nicht mit frischen Lebensmitteln bestückt. Nicht mal Kaffee gab es. Ich fand nur eine Schachtel mit Pfefferminztee und brühte eine gewaltige Kanne davon auf. Zumindest für Julius war Fasten nicht das Schlechteste.
»Sobald die Geschäfte aufmachen, kaufen wir ein, was das Zeug hält«, versprach ich.
»Ich verhungere mich aber«, sagte Julius, wieder ganz auf dem Damm.
»Ich verhungere bis dahin auch«, meckerte Nelly. »Warum hast du nicht vorher daran gedacht, uns was zu essen zu besorgen, du Rabenmutter?«
Weil ich Rabenmutter bis gestern Abend noch nicht gewusst hatte, dass ich heute Früh in einem Mahagoni-Albtraum mit einem leeren Kühlschrank aufwachen würde.
Endlich wurde es hell. Das Tageslicht machte die Einrichtung auch nicht besser.
»Okay«, sagte ich, als ich Nellys Gemecker einfach nicht mehr ertragen konnte. »Jetzt kannst du deinen Vater anrufen.« Ich ärgerte mich, dass ich Nelly nicht schon um sechs Uhr erlaubt hatte, ihn aus dem Bett zu klingeln. Aber diese Art der Rücksichtnahme war noch zu tief in mir verankert: Sonn- und feiertags durfte Papi eben ausschlafen.
Lorenz schien sich zu weigern, Nelly abzuholen, denn sie knallte ziemlich bald Omi Wilmas brokatüberzogenen Hörer auf das Telefontischchen und schrie: »Doch, du willst mit Mami sprechen! Mami! Der Papi will mit dir sprechen!« Wütend rannte sie die Mahagoni-Treppe hinauf in ihr Zimmer, wo sie die Tür derart fest hinter sich zuknallte, dass das ganze Haus bebte.
Ich hatte den Verdacht, dass Lorenz gar nicht mit mir sprechen wollte.
»Du störst!«, bellte er mich an. »Was soll denn das. Ihr seid noch keine zwölf Stunden ausgezogen, da will Nelly schon wieder zu mir ziehen!«
»Jawohl«, sagte ich. »Sie muss wohl deinen sensiblen Geschmack geerbt haben, denn sie reagiert allergisch auf Omi Wilmas Einrichtung. Und deine Aufkleber findet sie auch nicht toll. Ich wusste übrigens gar nicht, dass du mal so vehement gegen Atomkraftwerke warst.«
»Es ist jetzt dein Haus, du kannst verändern, was dir nicht gefällt«, sagte Lorenz. »Das schließt auch meine Aufkleber ein. Oooooohja!«
»Oh nein!«, sagte ich. »Was zur Hölle hast du denn all die Wochen hier getan, Lorenz? Das Mahagoni poliert? Nicht mal der Kühlschrank war gefüllt! Dafür aber Omi Wilmas Kleiderschrank. Und der Plattenschrank. Opernarien für Tenor und Bariton aus den Siebzigerjahren. Ganz toll.«
Lorenz schwieg.
»Lorenz, bist du noch dran?«
»Aber nicht mehr lange!« Es hörte sich an, als ob er mit vollem Mund sprach. »Da du es ja vorgezogen hast, dich bei deinen Eltern zu verkriechen, kannst du dich jetzt wohl kaum bei mir über die Einrichtung beschweren.«
Haha, und ob ich das konnte! »Lorenz, du hast mir versprochen, das Haus für uns herzurichten. Herrichten heißt, bewohnbar machen. Aber du hast lediglich unseren Krempel plus allem, was du in unserer alten Wohnung nicht mehr haben wolltest, zu dem Krempel deiner Mutter dazugestellt.«
Lorenz schmatzte heftig.
»Was machst du da? Lorenz?«
»Was denn noch?«
»Warum hast du das Haus nicht leer geräumt, wie versprochen?«
»Ich habe zahllose Kisten aus dem Haus geschleppt, da kannst du Nelly fragen!«, sagte Lorenz. Er klang jetzt etwas zischend.
»Oh ja, da bin ich mir sicher«,
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