Die Mütter-Mafia
Gitti manchmal ganz schön auf denGeist, weil sie sich so sehr in Marie-Antoinettes Erziehung einmischten. Außerdem kochte ihre Mutter lecker, aber fettig, weshalb Gitti nie eine Diät durchhielt und immer dicker wurde.
Das alles nahm uns so mit, dass wir uns ebenfalls an Omi Wilmas Himbeergeist vergreifen mussten. Das Zeug schmeckte widerlich, aber wenn man es in einem Zug hinunterkippte, breitete sich ein wohlig-warmes Gefühl in der Magengrube aus.
Gitti legte uns ganz dringend ans Herz, ihren Workshop »Wir filzen uns einen eigenen Schutzengel« zu besuchen. Es sei ganz irre, was für eine Beziehung man zu so einem Filzengel aufbauen könne, und vor allem für Kinder sei das eine wunderschöne Erfahrung. Wir mussten versprechen, uns diesen Termin auf jeden Fall freizuhalten.
Ich nutzte eine Trink- und Atempause von Gitti, um sie zu fragen, was ihre Eltern unter »Kroppzeuch« verstünden, schließlich war das die Gelegenheit, aber sie verstand leider »Knüpfzeug« und hielt mir einen Vortrag über das Knüpfen von künstlerisch wertvollen Wäschesäcken, Blumenampeln und Hosenträgern und wie viel diese Tätigkeiten zur seelischen Balance des Knüpfers beitrügen.
Sie war erst gegangen, als Mimi auf die geniale Idee gekommen war, ihr die angebrochene Flasche Himbeergeist mitzugeben. Das war vor zehn Minuten gewesen. Vor lauter Freude über ihren Weggang hatten wir eine zweite Flasche Himbeergeist geöffnet und auf die himmlische Ruhe im Wohnzimmer angestoßen.
Und jetzt: Schon wieder die Türklingel. Aber wir hatten Glück: Es war nicht Gitti, die zurückgekommen war. Vor der Tür stand Frodo Beutlin höchstpersönlich. Dieselben braunen Wuschellocken, dieselben großen blauen Augen, umrahmt von unwahrscheinlich langen, gebogenen Wimpern. Er war nur ein bisschen größer als ein Hobbit. Und er trug eine blaue Sportjacke.
Ich hickste.
»Ist mein Bruder hier?«, fragte Frodo.
»Der Japs- hicks- ser? Ups.« Mir war das Hicksen äußerst peinlich. So besoffen konnte ich doch noch gar nicht sein.
»Er heißt Jasper«, sagte der Junge. Er war ungefähr so alt wie Nelly, schätzte ich. Noch kein bisschen Bartflaum, aber schon im Stimmbruch. Es klang lustig, mal niedlicher Knabensopran, mal rauer Männerbass. »Er kann's nur selber nicht aussprechen. Ich habe meine Eltern damals gleich gewarnt vor dem blöden Namen.«
»Wie heißt du denn?«
»Max«, sagte der Junge. »Ist Jasper denn hier?«
»Ja, ist er. Komm rein, Max, Jap- äh Jasper ist oben in Julius' Zimmer. Er ist ganz allein hergekommen. Mit dem Fahrrad. Ist er dafür nicht noch ein bisschen klein?«
»Nein, das macht er immer so. Wir können ihn dann abends irgendwo in der Nachbarschaft aufgreifen«, sagte Max. »Aber diesmal hatte ich es noch ziemlich einfach: Sein Fahrrad steht ja vorm Gartenzaun.«
»Aber ... - also, da könnte ja weiß Gott was passieren«, sagte ich. »Es gibt doch so viele unvorsichtige Autofahrer, nicht angeleinte Kampfhunde, ungesicherte Gartenteiche, frei laufende Triebtäter ...«
Ich merkte, dass Max mir nicht richtig zuhörte. Er stand wie angewachsen auf der Türschwelle und starrte Nelly an, die ihrerseits wie angewachsen im Flur stand, den Staubsauger in der Hand, und Max anstarrte.
»Nelly, das ist Max, Max, das ist meine Tochter Nelly. Julius! Jap-Jasper! Kommt mal bitte runter! Jasper wird abgeholt.«
Max und Nelly starrten einander immer noch an. Keiner von beiden sagte etwas. Ich hatte den Eindruck, Nelly würde ein wenig erröten.
»Kennt ihr euch?«, fragte ich.
»Nö«, sagte Nelly.
»Sie geht in meine Parallelklasse«, sagte Max. »Tatsächlich?«
»Kann sein«, sagte Nelly. Aber mich konnte sie nicht täuschen. Ich war schließlich auch mal vierzehn Jahre alt gewesen. Nie im Leben nahm ich ihr ab, dass sie einen Jungen mit solchen Wimpern bis jetzt übersehen hatte.
»Ganz bestimmt«, sagte Max und sah sich um. »Ich wusste gar nicht, dass du hier wohnst.«
»Tu ich ja auch gar nicht«, sagte Nelly und wurde noch ein bisschen röter. »Nicht so richtig, jedenfalls. Das Haus gehörte meiner Oma. Und ich wohne eigentlich noch bei meinem Vater. In der Innenstadt.«
»Aber auch nur eigentlich«, murmelte ich ziemlich erbost.
»Und wie ist das passiert?«, fragte Max und zeigte auf Nellys Gipsarm.
»Ach, nur so«, sagte Nelly.
»Sie ist beim Telefonieren vom Baum gefallen«, sagte ich. »Hier hat man nämlich keinen Empfang fürs Handy. Und Nelly ist handysüchtig.«
»Mami!«
»Ich weiß«,
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