Die Mütter-Mafia
verdammten Elternabend gegangen, aber eine Patientin hatte einen Blasensprung, genau in dem Augenblick, in dem ich das Haus verlassen wollte. Mein Mäxchen hat seitdem nicht mehr mit mir gesprochen. Ist er auch hier?«
»Nein. Aber Nelly hat heute auch länger Schule.«
»Ich hab nicht mal Max' Stundenplan im Kopf«, sagte Anne. »Früher hing das Ding immer am Kühlschrank, jetzt hängt da ein Artikel, den Max aus einer Zeitschrift ausgeschnitten hat. Überschrift: Kinder brauchen geregelte Mahlzeiten.«
Das war ein gutes Stichwort.
»Möchtest du es Max nicht beweisen und in den Olymp der guten Mütter aufsteigen?«, fragte ich. »Doch«, sagte Anne.
»Na, dann komm doch einfach mit in die Mütter-Society«, sagte ich.
»Ist das eine Sekte?«, fragte Anne.
»Aber nein«, sagte ich. »Das ist eine Vereinigung von Müttern, die sich regelmäßig treffen.«
»Ach, so ein Hausfrauenclub«, sagte Anne. »Also, mit diesen Tupper-Partys kannst du mich jagen. Ich verstehe nicht, warum ich ein Vermögen für diesen Plastik-Scheiß ausgeben muss. Was ist gegen das gute alte Porzellan einzuwenden, kannst du mir das mal verraten? Gut, es geht kaputt, wenn man es fallen lässt, aber bringen Scherben denn nicht Glück? Und diese Zeitverschwendung: Haben diese Frauen nichts Besseres zu tun, als sich von so einer Plastikschüssel-Domina von einer netten Unterhaltung abhalten zu lassen?«
»Die Mütter-Society ist kein Hausfrauenclub. Im Gegenteil: Es sind auch jede Menge Karrierefrauen dabei. Außerdem gehtes den Mitgliedern vor allem darum, sich gegenseitig zu unterstützen.«
»Ich weiß nicht«, sagte Anne. »Ich habe den ganzen Tag mit werdenden und frisch gebackenen Müttern zu tun, und ich wüsste nicht, wie diese hormonverwirrten Kreaturen mir irgendwie helfen könnten. Um es mal freundlich auszudrücken.«
»Diese hier sind ja nicht frisch gebacken«, sagte ich. »Die sind bereits sehr erfahren. Und sie haben ein Netzwerk gebildet, in dem jeder jeden auffängt. Im Mittelpunkt stehen natürlich die Kinder. Hast du mit Jasper schon mal einen Kurs gemacht? Außer PEKiP, meine ich.«
»Ich hab nicht mal PEKiP gemacht«, sagte Anne. »Ich bin Hebamme! Die Mütter kommen zu mir, um etwas über Windelschorf, Dreimonatskoliken und entzündete Brustwarzen zu erfahren. Man nennt mich auch die Königin des Beckenbodens.«
Ich sah schon, ich musste schärfere Geschütze auffahren.
»Na schön, aber kann Jasper ein Instrument spielen?«, fragte ich.
»Nein«, sagte Anne. »Aber ...«
Ich unterbrach sie. »Spricht er eine Fremdsprache?«
»Nein«, sagte Anne wieder. »Er ist doch erst vier!«
»Schon vier, meinst du wohl«, sagte ich unerbittlich. »Warst du mit ihm je beim Kinderschwimmen? Kinderchor? Kinder-Rhythmik-Workshop? Bei der Kindertheatergruppe?«
Anne schüttelte den Kopf »Ich war beim Babyschwimmen mit ihm. Aber ich bin höchstens dreimal da gewesen, immer war irgendwas ...«
»Kann er mit Stäbchen essen?«
»Nee, aber das kann ich auch nicht.«
Ich fuhr fort, ihr alle Kurse an den Kopf zu werfen, die auf der Homepage der Mütter-Society unter der Rubrik »Bildungsangebote der Stadt im Preis- und Qualitätsvergleich« aufgelistet waren. »Schutzengel filzen? Blockflöte? Kinderzirkus?«
Anne musste alles verneinen. »Letztes Mal habe ich sogar dasLaternenbastein im Kindergarten geschwänzt. Jasper war einzige Kind mit einer gekauften Laterne.«
»Siehst du«, sagte ich. »Bei Nelly habe ich so viel falsch gemacht. Wenn ich sie zum Beispiel gefragt habe, ob sie zum Ballettunterricht angemeldet werden wolle und sie Nein sagte, dann musste sie eben nicht gehen. Und genau das wirft sie mir heute vor. Sie sagt außerdem, es sei kein Wunder, dass sie in Französisch so schlecht sei, alle anderen in ihrer Klasse hätten französische Au-pairs gehabt. Noch sind unsere Jüngsten zu klein, aber irgendwann werden sie es uns auch aufs Butterbrot schmieren.«
»Jasper kann ohne Stützräder fahren, seit er drei ist«, sagte Anne. »Ist das nichts?«
»Das zählt nicht mehr, wenn es darauf ankommt. Wir brauchen diese Mütter-Society, Anne. Früher war es völlig in Ordnung, die Kinder in Ruhe zu lassen, aber wenn man das heute genauso macht, dann hinken sie schrecklich hinterher - spätestens, wenn sie in die Schule kommen. Stell dir vor: Julius und Jasper können dann gerade mal ihre Namen schreiben, und die anderen Kinder sprechen schon fließend Englisch und Blockflötisch und haben schon alle
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