Die Mumie
den jemand in der Dunkelheit erkennen können? Nur trübes Sonnenlicht fiel durch die staubigen Fenster oben ein.
»Diese unbekannte Frau… ein eigentümliches Beispiel natürlicher Erhaltung.«
»Wir können hier nicht rauchen, oder?« flüsterte er Samir zu.
»Nein, Sire, aber wir können uns sicher davonschleichen. Wir können draußen auf die anderen warten, wenn Sie es wünschen…«
»…zusammengewirkt, um den Leichnam dieser unbekannten Frau auf natürliche Weise zu erhalten.«
»Gehen wir«, sagte er. Er legte Samir eine Hand auf die Schulter. Aber er mußte es Julie sagen, damit sie nicht erschrak. Er ging nach vorne, zupfte sie sacht am Ärmel und betrachtete dabei den Leichnam im Glaskasten.
Sein Herz setzte aus.
»… obwohl die meisten Bandagen vor langer Zeit weggerissen worden sind – zweifellos auf der Suche nach Wertgegenständen -, wurde der Körper der jungen Frau vom Schlamm des Deltas perfekt erhalten, genau wie bei Leichen, die in den nördlichen Mooren gefunden wurden…«
Lockiges Haar, langer, schlanker Hals, sanft gekrümmte Schultern! Und das Gesicht, das Gesicht! Einen Augenblick traute er seinen Augen nicht!
Die Stimme dröhnte in seinem Kopf: »Unbekannte Frau… ptolemäische Periode… griechisch-romanisch. Aber beachten Sie das ägyptische Profil. Die wohlgeformten Lippen…«
Miss Barringtons schrilles Lachen traf ihn wie ein Messer.
Er stapfte nach vorne. Er hatte Miss Barringtons Arm gestreift.
Alex sagte etwas zu ihm und nannte dabei seinen Namen. Der Führer sah auf.
Er sah durch das Glas. Ihr Gesicht! Sie war es – die weichen Bandagen hatten sich um ihr Fleisch gelegt, ihre nackten Hände waren anmutig gefaltet, die Füße bloß, die Stoffetzen lose an den Knöcheln. Alles schwarz, schwarz wie der Schlamm des Deltas, der sie umhüllt hatte, sie erhalten hatte.
»Ramses, was ist denn!«
»Sir, ist Ihnen schlecht?«
Sie sprachen von allen Seiten auf ihn ein. Sie hatten ihn umzingelt. Plötzlich zog ihn jemand weg, und er drehte sich wü-
tend um. »Nein, laßt mich los.«
Er hörte, wie das Glas neben ihm zerbrach. Eine Sirene erklang, die an eine kreischende Frau erinnerte.
Sieh ihre geschlossenen Augen an. Sie ist es! Sie ist es. Er brauchte keine Ringe, keinen Schmuck, keinen Namen, um das zu wissen. Sie ist es.
Bewaffnete Männer waren gekommen. Julie flehte. Miss Barrington hatte Angst. Alex versuchte, sich Gehör zu verschaffen.
»Ich kann euch jetzt nicht hören. Ich kann überhaupt nichts hören. Sie ist es. Anonyme Frau.« Sie, die letzte Königin von Ägypten.
Wieder schüttelte er die Hand auf seinem Arm ab. Er kauerte über dem schmutzigen Glas. Er wollte es zertrümmern. Ihre Beine kaum mehr als Knochen, die Finger der rechten Hand fast zum Skelett vertrocknet. Aber das Gesicht, das wunderschöne Gesicht. Meine Kleopatra.
Schließlich ließ er sich wegführen. Julie hatte ihm Fragen gestellt. Er hatte keine Antwort gegeben. Sie hatte den Schaden am Kasten bezahlt, ein kleiner Schaukasten mit Juwelen, der umgestürzt war. Er wollte sagen, daß es ihm leid tat. Er konnte sich an nichts sonst erinnern. Nur an sie, an ihr Gesicht und an ihren Körper – ein aus der schwarzen Erde geschaffenes Ding, das auf das nackte, polierte Holz des Schaukastens gelegt worden war, die Leinenbandagen zerknittert. Und ihr Haar, ihr dichtes, lockiges Haar. Herrje, die ganze Gestalt hatte im trüben Licht fast geglänzt.
Julie sprach zu ihm. Das Licht im Zimmer im Shepheard Hotel war gedämpft. Er wollte antworten, konnte aber nicht. Und dann kam diese andere Erinnerung. Der seltsame Augenblick, als er sich in der Verwirrung und dem Durcheinander umgedreht und Elliott gesehen hatte, der ihn mit diesen traurigen grauen Augen ansah.
Oscar eilte Mr. Hancock und den beiden Herrn von Scotland Yard hinterher, die schnurstracks durch die beiden Salons ins Ägyptische Zimmer gingen. Er hätte sie gar nicht erst ins Haus einlassen dürfen. Sie hatten kein Recht, in dieses Haus zu kommen. Und jetzt marschierten sie geradewegs auf den Sarg der Mumie zu.
»Aber Miss Julie wird wütend sein, Sir. Dies ist ihr Haus, Sir.
Und Sie dürfen das nicht berühren, Sir, denn es ist Mr. Lawrences Fund.«
Hancock betrachtete die fünf Kleopatra-Goldmünzen in ihrem Schaukasten.
»Aber die Münzen hätten in Kairo gestohlen worden sein können, Sir. Bevor die Sammlung katalogisiert wurde.«
»Ja, natürlich, Sie haben völlig recht«, sagte Hancock, Er drehte sich um und sah
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