Die Mumie
er achtete nicht darauf. Ab und zu sah er zu der Gestalt hinauf, die in der Suite oben auf und ab ging, ein Schatten, der sich hinter den heruntergelas-senen Jalousien bewegte. Ramsey.
Samirs Zimmer war dunkel. Julie hatte vor einer Stunde das Licht gelöscht. Alex war schon lange zu Bett gegangen. Er machte sich Sorgen wegen Ramsey und fragte sich, ob Julie sich möglicherweise in einen Irren verliebt hatte.
Die Gestalt blieb stehen. Sie kam zum Fenster. Elliott blieb in der Dunkelheit stehen und rührte sich nicht. Er beobachtete, wie Ramsey zum Himmel aufsah, den Sternen, die sich wie ein Netz über den Dächern spannten.
Dann verschwand die Gestalt.
Elliott drehte sich um und hinkte unbeholfen zur Tür der Halle.
Er hatte gerade das Foyer hinter der Rezeption erreicht, als er Ramsey die große Treppe herunterkommen und zur Tür gehen sah – sein dichtes braunes Haar war ungekämmt und ver-filzt.
Ich bin verrückt, dachte Elliott. Ich bin verrückter als er es jemals gewesen ist.
Er hielt den Gehstock fester und folgte ihm. Als er zur Tür heraus kam, sah er, wie die dunkle Gestalt weiter vorne über den Platz ging. Die Schmerzen in seinem Knie waren mittlerweile so schlimm, daß er die Zähne zusammenbeißen mußte, aber er ging weiter.
Innerhalb weniger Minuten hatte Ramsey das Museum erreicht. Elliott beobachtete ihn, wie er sich vom Haupteingang abwandte und langsam zur rechten Seite des Gebäudes ging, wo Licht hinter einem Fenster brannte.
Das gelbe Licht drang aus dem kleinen rückwärtigen Alkoven.
Der Wachmann hing zusammengesunken auf seinem Stuhl und schnarchte selig. Die Hintertür stand offen.
Elliott betrat das Museum. Rasch ging er durch die leeren Kammern des Erdgeschosses, an großen Göttern und Göttinnen vorbei. Schließlich kam er zur breiten Treppe. Er umklammerte das Geländer und zog sich Stufe für Stufe hinauf, bemüht, das Gewicht nicht auf das verletzte Bein zu verlagern und im düsteren Halbdunkel möglichst wenig Lärm zu machen.
Graues, trübes Licht erhellte den Gang. Das Fenster am anderen Ende war kaum zu erkennen. Und da stand Ramsey neben dem langen, flachen Schaukasten, in dem der Leichnam der toten Frau in ihren versteinerten Lumpen wie schwarze Kohle glänzte. Ramsey neigte den Kopf wie ein Mann beim Gebet.
Es schien, als flüsterte er etwas in der Dunkelheit. Oder weinte er? Sein Profil war deutlich zu erkennen, ebenso wie die Bewegung seiner Hand, als er in den Mantel griff und etwas herausholte, das im Schatten funkelte.
Eine Glasphiole mit einer leuchtenden Flüssigkeit.
Lieber Gott, das kann doch nicht sein Ernst sein. Was ist das für eine Flüssigkeit, daß er es auch nur versuchen will. Fast hätte Elliott geschrien. Beinahe wäre er zu Ramsey gelaufen und hätte ihm die Hand festgehalten. Aber als Ramsey die Phiole öffnete und Elliott das leise Knirschen des Metalldek-kels hörte, wich er auf die andere Seite des Flurs zurück und versteckte sich hinter einer hohen Glasvitrine.
Es war unverkennbar, daß die ferne Gestalt litt, während sie mit der offenen Phiole in der einen Hand über dem Schaukasten stand und sich mit der anderen das Haar aus der Stirn strich.
Doch dann drehte Ramsey sich um und ging den Flur entlang auf Elliott zu, ohne ihn jedoch zu sehen. Irgend etwas veränderte sich im Licht. Es waren die ersten zögernden Sonnenstrahlen, eine dumpfe stahlgraue Strahlung. Ein sanfter grauer Schimmer hatte sich jetzt auf sämtliche Glaskästen und Vitri-nen in dem langen Flur gelegt.
Ramsey drehte sich um. Elliott hörte ihn seufzen. Er spürte seine Qual. Aber das ist Wahnsinn; unmöglich.
Hilflos mußte er mitansehen, wie sich Ramsey erneut dem Glaskasten näherte und den leichten Holzrahmen des Deckels aufbrach, den er behutsam zurückklappte wie den Einband eines Buches.
Plötzlich holte er die Phiole wieder hervor. Die leuchtende weiße Flüssigkeit perlte in Tropfen an dem Leichnam hinab, während Ramses die Phiole hin- und herschwenkte.
»Es kann nicht sein, es kann unmöglich wirken«, flüsterte Elliott halblaut. Er merkte, daß er sich noch fester an die Wand drückte, während er durch die Glasscheiben der Vitrine sah.
Ein Zischen ertönte in der Dunkelheit. Elliott stieß ein leises Stöhnen aus. Ramsey taumelte rückwärts und drückte sich an die Wand. Die Phiole fiel ihm aus der Hand und rollte über den Steinboden, ein kleiner Rest der Flüssigkeit glänzte noch in ihr. Ramsey starrte auf das Ding vor sich hinab.
Es
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