Die Mumie
den Sarg an.
Julie füllte sein Glas mit Wein. Er sah ihn nur an.
»Möchtest du nicht versuchen, es zu erklären?« flüsterte sie.
»Du hast sie erkannt. Du kanntest sie. Das muß es sein.«
Stundenlang hatte er schweigend dagesessen. Die spätnachmittägliche Sonne brannte durch die Vorhänge. Der Ventilator an der Decke drehte sich langsam und gleichmäßig und gab ein dumpfes Summen von sich.
Sie wollte nicht wieder weinen.
»Aber es kann nicht sein…« Nein. Sie brachte es nicht fertig, es auch nur anzudeuten. Und doch mußte sie wieder an die Frau denken, an die goldene Tiara auf ihrem Haar, die jetzt schwarz und glänzend war wie alles an ihr. »Es ist unmöglich, daß sie es ist.«
Langsam drehte sich Ramses um und sah sie an. Seine funkelnden blauen Augen waren hart.
»Unmöglich!« Seine Stimme klang leise, heiser, war kaum mehr als ein gequältes Flüstern. »Unmöglich! Ihr habt Tausende der ägyptischen Toten ausgegraben. Ihr habt ihre Pyramiden geplündert, ihre Wüstengräber, ihre Katakomben.
Was ist unmöglich!«
»O mein Gott.« Tränen flossen ihre Wangen hinab.
»Mumien gestohlen, verkauft, Handel getrieben«, sagte er.
»Wurde in diesem Land je ein Mann, eine Frau, ein Kind begraben, deren Leichnam nicht entweiht wurden, wenn nicht gar zur Schau gestellt oder verstümmelt? Was ist unmöglich!«
Einen Augenblick schien es, als würde er die Beherrschung verlieren, aber dann verstummte er und sah sie schweigend an. Und dann wurden seine Augen trüb, als nähme er sie gar nicht wahr. Er lehnte sich auf dem kleinen Sessel zurück.
»Wir müssen nicht mehr lange in Kairo bleiben, wenn du nicht willst…«
Wieder drehte er sich langsam um und sah sie an. Es war, als würde er aus einer Benommenheit erwachen, als hätte er nicht gerade eben mit ihr gesprochen.
»Nein!« sagte er. »Wir können nicht aufbrechen. Nicht jetzt.
Ich will nicht fort…«
Und dann versagte seine Stimme, als wäre ihm soeben klar geworden, was er gesagt hatte. Er stand auf, ging langsam aus dem Zimmer, ohne sie auch nur anzusehen.
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. Als sie seine Schritte auf dem Flur hörte, fing sie wieder an zu weinen.
Was sollte sie tun? Wie konnte sie ihn trösten? Wenn sie ihren ganzen Einfluß geltend machte, konnte sie dann erreichen, daß der Leichnam im Museum nicht mehr zur Schau gestellt wurde und ordentlich beerdigt wurde? Unwahrscheinlich. Man würde ihre Bitte für launisch und albern halten. Schließlich waren zahllose königliche Mumien ausgestellt!
Und selbst wenn sie so etwas fertig brächte, würde es doch jetzt nicht mehr helfen. Allein der Anblick des Dings, nicht seine Entweihung, hatte ihn so sehr mitgenommen.
Die beiden Beamten von Scotland Yard beobachteten den Mann vom Britischen Museum voller Unbehagen.
»Wir sollten jetzt gehen, Sir. Wir haben keinen Auftrag, den Sarg der Mumie zu öffnen. Wir sind hergekommen, um die Münzen zu überprüfen, und das haben wir getan.«
»Unsinn«, sagte Hancock. »Wir sollten, da wir einen Durchsuchungsbefehl haben, alles überprüfen. Wir wollten uns vergewissern, daß die Sammlung unversehrt ist. Ich möchte mich vergewissern, daß die Mumie in Ordnung ist.«
»Aber Sir«, mischte sich Oscar ein.
»Bitte kein Wort mehr, guter Mann. Ihre Herrin ist nach Kairo verschwunden und hat diesen wertvollen Schatz hier zurückgelassen. Sie haben auch keine Erlaubnis von uns.« Er wandte sich den beiden Gesetzeshütern zu. »Machen Sie das Ding auf«, sagte er scharf.
»Das gefällt mir nicht, Sir. Wirklich nicht«, sagte Trent.
Hancock drängte sich an ihm vorbei und hob den Deckel selbst hoch, noch ehe die beiden anderen Männer ihn daran hindern konnten. Galton versuchte, seiner habhaft zu werden, ehe der Deckel auf den Boden fiel. Oscar stöhnte.
Drinnen stand die Mumie, verschrumpelt, schwarz.
»Was, zum Teufel, geht hier vor!« tobte Hancock.
»Was meinen Sie, Sir?« wollte Trent wissen.
»Alles kommt sofort ins Museum.«
»Aber Sir.«
»Das ist nicht dieselbe Mumie, Sie Narr. Die stammt aus einem Antiquitätengeschäft in London! Ich habe sie selbst dort gesehen. Man hat sie mir zum Kauf angeboten. Der Teufel soll diese Frau holen! Sie hat den Fund des Jahrhunderts gestohlen!«
Es war weit nach Mitternacht. Nirgendwo war mehr Musik zu hören. Kairo schlief.
Elliott ging allein im Innenhof zwischen den beiden Gebäude-flügeln des Shepheard Hotels spazieren. Sein linkes Bein wurde allmählich gefühllos, aber
Weitere Kostenlose Bücher