Die Mutter
wer oder was immer ihn auch festhielt, ließ ihn nicht los. Alles, was er tun konnte, war zuzuschauen, wie sich die Frau ihm näherte. Wenigstens hatte sie die Waffen nicht mehr - das, so nahm er an, war ein kleiner Trost.
Sie blieb stehen, als sie den Mann mit der Mütze erreichte. Der Mann hatte während des gesamten Gemetzels nur still dagestanden und geweint, und nun schaute er die Frau an. Sie streckte eine Hand aus und nahm dem Mann die Mütze vom Kopf. Als sie sie aufsetzte, verschwand der Mann.
Die Frau drehte sich zu ihm um. Ihre Augen brannten sich in seinen Körper, heiß, aber dunkel, wie die glühenden Kohlen eines erlöschenden Feuers.
Sie riss sich eine Kette vom Hals - eine glänzende, beinahe blendende Goldkette - und warf sie auf den Boden. Sie kickte sie unter einen Tisch, wo sie in einer schmutzigen Pfütze landete.
Wo sie bis in alle Ewigkeit liegen bleiben wird, dachte er mit schwerem Herzen. Es hatte sich eine Menschengruppe gebildet, die sie aus
sicherer Entfernung beobachtete, aber er ignorierte sie, während die Frau sich ihm näherte.
»Ich habe dich endlich gefunden«, flüsterte sie heiser.
Das Restaurant verschwamm vor seinen Augen und wurde unscharf, wie ein Fernsehkanal, der nicht richtig eingestellt war.
»Wer bin ich?«, fragte er.
»Du bist er. Der, den ich will. Der, den ich gesucht habe.«
Er wusste nicht, wovon sie sprach. »Das bin ich nicht. Das kann ich nicht sein.«
»Du hast das Tattoo. Du bist er.«
»Ich habe kein Tattoo«, erwiderte er, sicher, dass er die Wahrheit sagte.
»Doch, hast du. Schau.«
Er schob den linken Ärmel seines T-Shirts hoch und war schockiert, als er ein großes hässliches Tattoo auf seinem linken Arm erkannte, ein Stück unterhalb der Schulter. Dort stand: Stirb, Mutter.
»Hä? Was? Ich verstehe das nicht«, jammerte er.
Es war vorher nicht da gewesen, da war er sicher.
Aber wann war »vorher«? Er konnte sich nicht an die Zeit erinnern, bevor er hierhergekommen war.
»Du hast sie getötet, und jetzt werde ich dich töten. Ich werde dafür sorgen, dass du bezahlst.«
»Ich habe niemanden getötet!«, schrie er. »Ich kenne dich nicht. Du irrst dich.«
»Du hast das Tattoo«, wiederholte sie. »Ich habe überall nach dir gesucht. Du bist er. Ich weiß, dass du er bist.«
»Nein, bin ich nicht«, sagte er. Das Restaurant bewegte sich, veränderte sich, schien ihm nicht mehr real, nichts war mehr real - nichts war je real. Der Gips begann von der Decke zu rieseln, immer größere Brocken fielen krachend in einer Wolke aus weißem Staub zu Boden. »Das ist nicht möglich.«
»Warum nicht?« Sie sah plötzlich ängstlich, verwirrt aus. »Ich habe dich gefunden«, brüllte sie. »Ich habe dich gefunden!«
»Weil ich nicht real bin.« Die Hände ließen ihn los. Die Menschen im Restaurant, auch die, die noch lebten, hatten sich in die Frau verwandelt. Jedes Gesicht war das ihre, nur in
verschiedenen Stadien der Zerstörung. »Du bist ich und ich bin du«, erklärte er ihr.
Die Fenster explodierten in einem Regen aus Glasscherben - die Wände begannen zu bröckeln. »Wie?«, fragte sie.
»Ich bin nur eine Ausgeburt deiner Fantasie. Das ist alles.« Das Restaurant stürzte ein, und die Welt wurde schwarz.
GREG , DER LETZTE ?
Er war seit sechs Monaten nicht mehr in dieser Gegend gewesen. Als er den Wagen auf den Restaurantparkplatz lenkte, stellte er fest, dass sich nur wenig verändert hatte: Es war noch immer dasselbe alte Gebäude auf demselben alten Highway.
Er hatte sich in dieser Zeit sehr verändert: neue Haarfarbe, neuer Schnitt; neue Figur (sein Körper war nun fest und muskulös, nicht mehr so dürr); neue Kleidung (sportlich elegant statt schlampiger Jeans und T-Shirt). Aber am wichtigsten war die spirituelle Erleuchtung, die er erfahren hatte, die seinem Leben eine neue Wendung gegeben und ihm gezeigt hatte, wer er war und woher er kam. All diese Veränderungen vermochten aber nicht die Angst zu unterdrücken, die er spürte, als er aus dem Auto stieg und auf das Restaurant zuging.
Es fühlte sich seltsam an, hier zu sein, aber sich seinen Dämonen zu stellen, war Teil seines neuen Lebens. Dies war seine vorletzte Station, die letzte würde die schwerste werden.
Er nahm seine Sonnenbrille ab - eigentlich brauchte er sie ohnehin nicht; es war fast sechs, und der Himmel war ungewöhnlich grau - und suchte das Restaurant nach einem freien Platz ab.
Er war sich sicher, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren,
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