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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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sagt er beinahe entschuldigend. Sydney hat nicht
bemerkt, dass er auf die Uhr gesehen hätte. Vielleicht hat er gelernt, es zu tun,
ohne es die Leute in seiner Gesellschaft merken zu lassen – ein echtes Kunststück.
»Könnten Sie sich vorstellen, morgen Abend mit mir zu essen?«
    Die Einladung, von der sie weiß, dass sie zum Teil der Höflichkeit entspringt,
kommt für sie überraschend.
    »Ich bin im Augenblick eine furchtbar schlechte Gesellschaft«, sagt sie.
    »Das ist nicht wahr.«
    »Danke für den Kaffee. Es war sehr nett… Na ja, mehr als nett.«
    »Das war es auch für mich«, erwidert er.
    »Sie sind wie der Fremde im Flugzeug«, sagt sie.
    In ihrem Zimmer zurück, setzt Sydney sich aufs Bett und fragt sich, ob
sie es bedauert, Mr. Cavallis Einladung angenommen zu haben. Sie kann nicht leugnen,
dass sie den Mann attraktiv findet, und überlegt, was es bedeutet, dass sie sich
so bald schon wieder zu einem anderen Mann hingezogen fühlen kann. Als sie sich
dann aber vorstellt, mit so einem Mann eine Beziehung einzugehen, hat sie nur Angst – eine Angst, die ihrer Angst davor, allein zu bleiben, sehr ähnlich ist, wenn auch
nicht ganz so intensiv.
    Am nächsten Abend erwartet Mr. Cavalli sie im Foyer. Er hat in einem
italienischen Restaurant gleich in der Nähe des Trinity Square einen Tisch bestellt.
Der Speisesaal ist zwei Stockwerke hoch, mit üppigen Vorhängen und bequemen Sitzbänken
und Sesseln ausgestattet. Sie werden an einen intimen Ecktisch geführt, mit Blick
auf ein angestrahltes Wandgemälde von Zypressen, das Mr. Cavalli, wie er bemerkt,
an Italien erinnert. Die Speisekarte bietet eine riesige Auswahl an Speisen, die
man in beliebiger Menge und Reihenfolge bestellen kann. Auf ihren Wunsch hin wählt
Mr. Cavalli für sie beide. Als Vorspeise gibt es Langustinos, noch mit Kopf und
Scheren, auch dies eine Erinnerung an seine Kindheit, wie er erwähnt.
    Sydney betrachtet die Hummer mit den schlanken Scheren, die bereits aufgebrochen
sind.
    Sydney und Mr. Cavalli verbringen Stunden in dem Restaurant. Sie trinken
Prosecco und Rotwein und unterhalten sich über glimpflich verlaufene Unfälle und
Pech in der Partnerschaft. Ich glaube, ich bin betrunken, denkt sie, als sie vom
Tisch aufsteht.
    Auf der Rückfahrt zum Hotel schmerzt ihr Handgelenk nur wenig. Sie weiß,
dass sie in zwei Tagen mit ihrem angeschlagenen Koffer (vielleicht wird sie da morgen
mal etwas unternehmen) aus dem Hotel ausziehen und in die Welt hinaustreten muss,
in der sie einmal gelebt hat. Dort wird sie noch einmal ganz von vorn anfangen müssen:
wird sich eine neue Wohnung, eine neue Arbeit, neue Freunde suchen, vielleicht sogar
in eine neue Beziehung hineinstolpern. Aber sie bezweifelt, dass das Letztere so
bald geschehen wird. Das Hotel ist ihr persönliches Übergangshaus gewesen, ein Rastplatz
auf dem Weg von der Frau, die sie gewesen ist, zu der Frau, die sie jetzt werden
muss. Es hat sie ihre gesamten Ersparnisse gekostet (sie wird sich sogar das Geld
für eine Wohnungskaution von ihrem Vater leihen müssen), aber sie bedauert keinen
Cent, den sie dafür ausgegeben hat.
    Mr. Cavalli parkt den Wagen kurz vor dem Hotel. Sydney überlegt flüchtig,
ob er eine Einladung auf ihr Zimmer erwartet, und sagt sich, nein, er würde sie
nie derart in Verlegenheit bringen.
    Er neigt sich ihr zu, und sie bietet ihm die Wange. Ohne Zögern küsst
er sie nach europäischer Manier erst auf die eine, dann auf die andere Wange.
    »Ich muss morgen nach London«, sagt er.
    »Und ich muss wieder ins feindliche Leben hinaus«, erwidert sie und lacht.
    Er gibt ihr seine Karte. »Würden Sie mich anrufen, wenn Ihr Arm wieder
heil ist?«, fragt er.
    Sydney nickt lächelnd, aber sie weiß schon jetzt, dass sie das nicht
tun wird. Es ist klar, dass dies nur eine Episode in ihrer beiden Leben war, und
eine leise Wehmut befällt sie schon jetzt.
    »Danke«, sagt sie.
    »Wofür?«
    »Dass Sie alles ein bisschen leichter gemacht haben.«
    Jetzt ist der Moment, sie erkennen es beide, da sie bleiben und alles
verändern könnte. Aber sie steigt aus dem Wagen. Sie blickt nicht zurück auf ihrem
Weg zum Hoteleingang.
    Als Sydney am zweiundzwanzigsten Tag aus dem Hotel auszieht, verabschiedet
sich das ganze Personal persönlich von ihr. Unter viel Aufhebens wird ihr kleiner,
aber nagelneuer Koffer im Taxi verstaut. Sie darf den Portiers kein Trinkgeld geben.
Rick kommt hinter dem Empfangstisch hervor und sagt, sie solle es gut machen. Sydney
denkt, dass

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