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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Atem? Ja. Puls? Weder kräftig noch schwach. Ich zog seine Lider nach oben, wusste aber nicht, nach was ich eigentlich suchte. Als ich ihm das Hemd aus dem Hosenbund zog, glitten meine Finger über seine Seite und in eine klaffende Wunde. Ich zog die Hand zurück und starrte meine blutigen Finger an.
    Clay.
    Ich würgte, fuhr zurück, als hätte ich Angst, Philip zu besudeln, und erbrach einen dünnen Gallestrahl auf den Teppich. Eine Sekunde später war der erste Schock vorüber, und ich begann zu zittern, abwechselnd vor Furcht und vor Rage. Clay hatte das getan. Nein, er konnte es nicht getan haben. Doch, er konnte, aber er würde nicht. Würde er nicht? Warum sollte er nicht? Was hätte ihn abhalten sollen? Ich war nicht hier gewesen, um ihn abzuhalten. Aber nein, er würde so etwas nicht tun. Warum nicht? Weil er ein paar Tage lang relativ ausgeglichen gewesen war? Hatte ich vergessen, wozu er fähig war? Nicht hierzu. Niemals hierzu. Clay griff keine Menschen an. Es sei denn, sie waren eine Bedrohung. Aber Philip wusste nicht, was wir waren, also war er uns nicht gefährlich, konnte dem Rudel nicht gefährlich werden, unserer Lebensweise nicht gefährlich werden. Vielleicht nicht der Lebensweise des Rudels, aber Clays…?
    Philip bewegte sich. Ich sprang auf die Füße, als mir schlagartig die erste und wichtigste Erste-Hilfe-Maßnahme wieder einfiel. Ich rannte zum Telefon, nahm den Hörer ab und wählte die 911. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mir darüber klar zu werden, dass ich am anderen Ende nichts hörte. Ich schlug auf die Gabel und wählte wieder. Immer noch nichts. Ich sah nach unten. Das Kabel schlängelte sich um ein Tischbein. Das Ende lag einen halben Meter entfernt; farbige Drähte ragten hervor. Durchgeschnitten. Jemand hatte absichtlich das Telefonkabel durchgeschnitten. Jetzt wusste ich, dass nicht Clay Philip dies angetan hatte. Er würde ihn nicht lebend und verblutend zurücklassen und dann das Telefonkabel durchschneiden. Was Clay auch immer sein mochte, er war kein Sadist.
    Ich stürzte zum Flurschrank und riss ihn auf. Philips Aktentasche hing an ihrem üblichen Haken, und das Handy war an seinem üblichen Ort. Ich wählte 911 und sagte der Vermittlung, mein Freund sei verletzt und bewusstlos, ich sei nach Hause gekommen und hätte ihn gefunden, ich hätte keine Vorstellung, wie schwer er verletzt war und was passiert war. Ich wusste nicht, ob die Frau mir glaubte, und es war mir auch gleichgültig. Sie ließ sich die Adresse geben und versprach einen Krankenwagen, und das war gut genug.
    Nachdem ich das Gerät abgeschaltet hatte, lief ich zum Schrank, zerrte ein Laken heraus und riss es in Streifen. Während ich Philips Seite verband, beugte ich mich dicht genug über ihn, um riechen zu können, wer ihn berührt hatte, wer ihm dies angetan hatte. Der Geruch, der von seinen Kleidern aufstieg, war nicht Clays Geruch, aber es war jemand, den ich kannte, jemand, dessen Geruch ich erkannte, ohne eine Spur von Überraschung zu empfinden. Thomas LeBlanc. Im Hinterkopf fragte ich mich, wie er mich hatte finden können, wo er jetzt war, ob er zurückkommen würde, aber ich verschwendete keine Zeit damit, diesen Fragen nachzuhängen oder Antworten zu suchen. Meine erste Priorität war Philip. Die zweite war es, Clay zu finden und zu warnen.
    Ich überprüfte Philips Atem und Puls noch einmal. Unverändert. Ich beugte mich über ihn, stützte seinen Nacken mit einer Hand und hob ihn an, um nach weiteren, verborgenen Wunden zu suchen. Als ich mich auf die Knie hochstemmte, entdeckte ich etwas unter dem Flurtisch. Eine Arzneimittelspritze. Eine neue Welle der Sorge ging durch mich hindurch. Hatte LeBlanc Philip irgendetwas injiziert? Ihn vergiftet? Ich legte Philip vorsichtig wieder hin und stolperte zum Tisch. Ich wollte mich gerade nach der Spritze bücken, als ich den Ring auf dem Tisch liegen sah. Ein glatter Goldreif, so vertraut, dass ich nicht einmal genau hinzusehen brauchte, um ihn zu erkennen. Clays Ehering. Darunter lag ein abgerissener Zettel mit einer gekrakelten Mitteilung. Einen kurzen Augenblick lang glaubte ich, Clay habe den Ring abgenommen – dass er vor LeBlancs Eintreffen in die Wohnung hinaufgekommen war, den Ring abgenommen und den Zettel geschrieben hatte und dann gegangen war –, dass er mich verlassen hatte. Irgendeine Emotion stieg in mir auf, aber bevor ich sie analysieren konnte, erkannte ich, dass die Schrift auf dem Zettel nicht Clays Handschrift war. Meine

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