Die Nacht des Zorns - Roman
seinen Kopf an und löst den Schluckreflex aus. Dennoch, Émeri: Warum hätte Denis Danglard töten sollen?«
»Du selbst hast es mir erklärt, Wolkenschaufler. Weil Danglard die Wahrheit über die Vendermot-Kinder wusste. Wegen ihres Feuermals in Form eines Insekts.«
»Eines Krustentiers.«
»Ist mir scheißegal«, brauste Émeri auf.
»Ich habe dich drauf gebracht, und ich habe mich geirrt. Denn erklär mir mal, wie sollte Denis de Valleray so schnell erfahren haben, dass Danglard dieses Krustentier gesehen hatte? Und begriffen haben, was es bedeutete? Während ich selbst es erst am Abend seiner Abreise erfahren habe?«
»Gerüchteweise.«
»Was ich zunächst angenommen hatte. Aber ich habe Danglard angerufen, er hat mit niemandem darüber geredet, außer mit Veyrenc. Der Mann, der ihm den Zettel in die Tasche geschoben hat, hat dies sehr kurze Zeit nach dem Unwohlsein des Grafen im Krankenhaus getan. Die Einzigen, die beobachten konnten, wie Danglard den Schal wieder über Linas Schultern gelegt hat, wie Danglard den Rücken des Grafen entblößt hat, wie Danglard auf diesen lila Fleck gestarrt und sich darüber gewundert hat, waren also der alte Valleray, Dr. Merlan, die Krankenpfleger, die Gefangenenwärter, Dr. Hellebaud, Lina und du. Die Wärter und Hellebaud kannst du ausklammern, die haben mit der Geschichte nichts zu tun. Lass die Krankenpfleger weg, die nie den Fleck der Vendermot-Kinder gesehen haben. Lass Lina weg, die nie den Rücken des Grafen gesehen hat.«
»Sie hat ihn an dem Tag gesehen.«
»Nein, denn sie stand weit im Hintergrund, im Flur, Danglard hat es mir bestätigt. So dass also Denis de Valleray nicht wissen konnte, dass der Commandant die Existenz seiner Geschwister entdeckt hatte. Er hatte folglich keinen Grund, ihn unter den Schnellzug Caen – Paris zu stoßen. Du hingegen wohl. Wer sonst noch?«
»Merlan. Er hat Hippo, als er klein war, die Finger operiert.«
»Merlan stand nicht in der Menschenmenge vor Glayeux’ Haus. Außerdem interessieren ihn die Valleray-Nachkommen in keiner Weise.«
»Lina hat es sehen können, was auch immer dein Commandant sagt.«
»Sie war nicht vor Glayeux’ Haus.«
»Aber ihre Tonpfeife von Bruder, der war da. Antonin. Wer sagt dir, dass sie ihn nicht davon verständigt hat?«
»Merlan. Lina hat das Krankenhaus weit nach den anderen verlassen, sie stand noch eine Weile am Empfang und sprach mit einer Freundin. Vergiss sie.«
»Bleibt der Graf, Adamsberg«, erklärte Émeri unnachgiebig. »Weil er nicht wollte, dass man erfährt, dass sie seine Kinder sind. Jedenfalls nicht zu seinen Lebzeiten.«
»Auch er war nicht vor dem Haus, sondern noch zur Beobachtung in der Klinik. Du allein hast es gesehen, hast begriffen, und du allein hast die Nachricht in Danglards Tasche schmuggeln können. Wahrscheinlicher sogar noch in dem Moment, als er Glayeux’ Haus betreten hat.«
»Und was sollte es mich interessieren, dass der Graf diese Satansbrut gezeugt hat? Ich bin schließlich kein Valleray-Sohn. Willst du meinen Rücken sehen? Find nur einen einzigen Bezug zwischen mir und dem Tod all dieser armen Teufel.«
»Das ist einfach, Émeri. Das Grauen. Und das zwanghafte Bedürfnis, die Ursache dieses Grauens zu beseitigen. Du warst zeitlebens eingeschüchtert und gekränkt vom Glanz deines Ahns, den du nicht hattest. Zu deinem Unglück hat man dir auch noch seinen Vornamen gegeben.«
»Das Grauen«, sagte Émeri und breitete die Hände aus. »Und wovor, mein Gott? Vor dem Jammerlappen Mortembot, der mit runtergelassener Hose gestorben ist?«
»Vor Hippolyte Vendermot. Der in deinen Augen für all deine Machtlosigkeiten verantwortlich ist. Und das seit zweiunddreißig Jahren. Die Aussicht, so zu enden wie Régis,verfolgt dich, du musstest den zerstören, der dich als Kind verdammt hatte. Von dieser ›Verdammung‹ bist du überzeugt. Denn danach hattest du einen beinahe tödlichen Sturz vom Fahrrad. Aber darüber hast du mir nichts gesagt. Oder irre ich mich?«
»Warum sollte ich dir meine Kindheit erzählen? Alle Kinder fallen mit dem Fahrrad mal auf die Schnauze. Ist dir das nie passiert?«
»Doch. Aber nicht, genau nachdem ich von dem satanischen kleinen Hippo ›verdammt‹ worden bin. Nicht, nachdem ich von dem tragischen Unfall von Régis erfahren habe. Seitdem ist alles für dich immer schlimmer geworden. Deine schulischen Misserfolge, dein beruflicher Ärger in Valence, in Lyon, deine Sterilität, deine Frau, die dich verlassen hat.
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