Die Nacht des Zorns - Roman
gesetzt, hielt seine Arme fest an den Boden gepresst und blockierte gnadenlos den Brustkorb des Mannes, der unter ihrem Gewicht stöhnte. Hippolyte stand schnaufend auf, die Finger aufgeschürft von den Steinen, an denen er sich festgeklammert hatte.
»Das war knapp«, sagte er.
»Du hast nichts riskiert«, sagte Adamsberg und wies auf Retancourt.
Er ergriff die Handgelenke des Capitaine, schloss die Handschellen in seinem Rücken, während Veyrenc ihm die Füße zusammenband.
»Und keine falsche Bewegung, Émeri. Violette kann dichzertreten wie eine Kellerassel, das solltest du wissen. Wie eine Landkrabbe.«
Schwitzend und mit rasendem Herzschlag wählte Adamsberg Blériots Nummer, während Retancourt aufstand, sich lässig auf den Brunnen setzte und sich in aller Ruhe eine Zigarette anzündete, so als käme sie gerade vom Markt zurück. Veyrenc lief umher und schwenkte die Arme, um seine Spannung abzubauen. In der Ferne wurden seine Umrisse von der Dunkelheit geschluckt, dann sah man von ihm nur noch das Leuchten seiner roten Haarsträhnen.
»Kommen Sie zu uns raus an den alten Gänsebrunnen, Blériot«, sagte Adamsberg. »Wir haben den Mann gefasst.«
»Welchen Mann«, fragte Blériot, der erst beim zehnten Klingeln abgenommen hatte, mit schläfriger Stimme.
»Den Mörder von Ordebec.«
»Und Valleray?«
»Es war nicht Valleray. Kommen Sie her, Brigadier.«
»Wohin? Nach Paris?«
»In Paris, Blériot, gibt es keinen Gänsebrunnen. Wachen Sie auf.«
»Welchen Mann?«, fragte Blériot, sich räuspernd, noch einmal.
»Émeri. Es tut mir sehr leid, Brigadier.«
Und es tat Adamsberg wirklich leid. Er hatte mit diesem Menschen gearbeitet, sie waren gemeinsam unterwegs gewesen, hatten zusammen getrunken und gegessen, bei ihm zu Hause auf den Sieg angestoßen. An dem Tag – es war ja erst gestern, erinnerte sich Adamsberg – war Émeri gastfreundlich, redegewandt, sympathisch gewesen. Er hatte vier Menschen umgebracht, Danglard auf das Bahngleis gestoßen, Léos Kopf auf die Fliesen geschlagen. Die alte Léo, die ihn als kleinen Jungen aus dem zugefrorenen Teich gerettet hatte. Am Vortag erst hatte Émeri sein Glas Kir auf das Andenken seines Ahns erhoben, er war voller Zuversicht gewesen. Es gab einen Schuldigen, selbst wenn es nicht der vonihm vorgesehene war. Die Arbeit war zwar noch nicht abgeschlossen, zwei Tote noch, um endgültig damit fertig zu sein, drei, falls Léo die Sprache wiederfinden sollte. Aber es sah alles sehr gut aus. Vier vollendete Morde, zwei gescheiterte Versuche, drei weitere Morde in Sicht, er hatte seinen Plan. Insgesamt sieben Tote, eine schöne Bilanz für einen stolzen Soldaten. Adamsberg hatte seinen Schuldigen, Denis de Valleray, mit dem er in seine Brigade zurückfahren würde, der Fall war abgeschlossen und das Schlachtfeld frei.
Adamsberg setzte sich im Schneidersitz neben ihn. Émeri, den Blick zum Himmel gewandt, gab sich den Anschein eines Kämpfers, der vorm Feind nicht erzittert.
»Eylau«, sagte Adamsberg zu ihm. »Eine der Schlachten deines Ahns und eine deiner liebsten. Du kennst ihren Verlauf auswendig, du erzählst jedem davon, der es hören, und auch dem, der es nicht hören will. ›Eylau‹ war das Wort, das Léo gesagt hat. Und nicht ›Hello‹, natürlich. ›Eylau, Flem, Zucker.‹ Dich meinte sie damit.«
»Du begehst den Fehler deines Lebens, Adamsberg«, sagte Émeri mit dumpfer Stimme.
»Wir sind drei, die es bezeugen können. Du hast versucht, Hippo in den Brunnen zu stürzen.«
»Weil er ein Mörder ist, ein Teufel. Ich habe es dir immer gesagt. Er hat mich bedroht, ich habe mich verteidigt.«
»Er hat dich nicht bedroht, er hat dir gesagt, er wisse, dass du schuldig bist.«
»Nein.«
»Doch, Émeri. Ich habe ihm nämlich seine Rolle vorgeschrieben. Er sollte dir melden, dass er einen menschlichen Körper im Brunnen gesehen habe, und dich bitten hinzukommen, um es zu bestätigen. Du warst beunruhigt. Warum eine Verabredung in der Nacht? Was erzählte Hippo da von einem Körper im Brunnen? Du bist gekommen.«
»Ja und? Wenn da eine Leiche war, war es meine Pflicht, mich hinzubegeben. Egal, zu welcher Zeit.«
»Aber da war keine Leiche. Da war nur Hippo, der dich beschuldigte.«
»Kein Beweis«, sagte Émeri.
»Genau. Von Anfang an keinerlei Beweis, keinerlei Indiz. Weder bei Herbier noch bei Glayeux, auch nicht bei Léo, Mortembot, Danglard, Valleray. Sechs Opfer, vier Tote und nicht eine Spur. Das kommt selten vor, ein Mörder, der
Weitere Kostenlose Bücher