Die Nacht Hat Viele Augen -1-
unberechenbar.
Nicht das Ziel aus den Augen verlieren, ermahnte er sich. Es ging nur um Erin.
Er hob die Waffe und zielte auf sie. »Ich möchte dir nicht wehtun.«
Die Verachtung in ihrem Gesicht blieb unverändert. »Warum bedrohst du mich dann mit der Waffe, Ed?«
»Du musst jetzt mitkommen«, erklärte er. »Wenn du nichts Dummes tust, wird dir nichts passieren.«
Sie kam eine Stufe herunter. Noch bevor er bemerkte, was er tat, war er schon unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen.
»Du hast meinen Vater getötet.« Ihre Stimme vibrierte vor Hass.
Er zielte weiter mit der Waffe auf sie, aber das schien ihr egal zu sein. »Keine große Neuigkeit«, höhnte er. »Außerdem war es für ihn ein Gnadentod. Peter stand sowieso kurz vor dem Selbstmord. Ich habe ihn lediglich von seinem Elend erlöst. Komm jetzt schön langsam herunter, Katie. Mach es dir nicht schwerer, als es sein muss, okay?«
Ihre Augen glühten seltsam, so wie Victors, wenn er in der entsprechenden Stimmung war. Ihr Gesicht war unwirklich bleich, wie das eines Vampirs in einem Horrorfilm.
»Warum sollte ich?«, fragte sie. »Du wirst mich doch sowieso umbringen. So wie du es schon versucht hast, als ich ein Kind war. Erinnerst du dich noch daran, Ed? Ich erinnere mich genau.«
»Du warst schon damals eine kleine arrogante Rotznase. Erinnerst du dich daran auch noch?«, knurrte er. »Komm, Katie. Sei ein braves Mädchen. Schön eine Stufe nach der anderen.«
»Verpiss dich! Du hast meinen Daddy getötet, du Schwein!«
Sie fletschte die Zähne und riss die Whiskeyflasche hinter ihrem Rücken hervor. Mit einem markerschütternden Schrei schleuderte sie ihm die Flasche entgegen.
Blitzschnell hob er den Arm und wehrte sie ab, mit genau der gleichen Stelle, wo ihn auch schon am vorangegangenen Abend die Messinglampe getroffen hatte. Vor Schmerz brüllte er auf, und er schrie erneut, als ihn auch noch das Schloss erwischte, das im nächsten Moment aus dem Nichts hinterhergeflogen kam und ihm gegen den Kiefer knallte.
Und dann warf sich das verrückte Miststück mit einem Riesensatz auf ihn.
25
Die Flasche zersprang. Die Waffe ging los, und Splitter aus irgendeinem Stück Holz flogen durch die Luft. Raine taumelte betäubt gegen ihn.
Ed krachte hart gegen die Wand, und voller Genugtuung nahm sie den Aufprall wahr und hörte sein Grunzen. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie sich von ihm gelöst, sprang auf und rannte durch die Küche. Dabei griff sie nach allem, was ihr in die Finger kam und warf es ihm entgegen.
Der Toaster prallte von seiner Schulter ab, der Mixer verfehlte ihn knapp und knallte gegen die Wand. Sie lief ins Büro, fuhr herum und erwischte ihn fast mit einem Lautsprecher. Er duckte sich und wich ihren Wurfgeschossen aus, während er irgendetwas schrie, aber sie konnte es nicht verstehen, denn sie schrie ihn ebenfalls an, als ob purer Lärm eine Waffe wäre. All ihre Wut, die sie immer zu beherrschen versucht hatte, brach jetzt in einem schrillen, nicht enden wollenden Schrei aus ihr heraus. Sie fühlte sich zu jeder Gewalttat imstande.
Er stürmte hinter ihr her in das Büro. Jetzt stand er zwischen ihr und dem anderen Ausgang. Sie saß in der Falle. Keine Chance, ihm nach draußen zu entkommen. Sie griff sich einen Sportpokal vom Regal und schleuderte ihn in seine Richtung. Er schützte sein Gesicht und fluchte, als der Pokal von seinem Ellbogen abprallte. Mit hochrotem Kopf stürzte er auf sie zu.
Sie zwängte sich hinter den großen Schreibtisch, auf dem all das Computerzeug stand, und schob ihn von der Wand weg, um mehr Platz zu haben. Die wilde Energie, die sie durchflutet hatte, begann nachzulassen. Angst stieg erneut in ihr auf. Sie warf alles nach ihm, was sie zu fassen bekam: Notebooks, Bedienungsanleitungen, ein Modem, eine Handvoll Büroklammern, lose CD s. Sie riss mehrere Stifte und eine Schere aus einem schweren Krug und schleuderte ihn gegen ihren Angreifer. Er wich dem Krug aus. Die Stifte prallten wirkungslos an seinem Mantel ab. Er warf sich über den Schreibtisch und zuckte mit einem Fluch zurück, als sie mit der Schere nach seiner Hand stach.
Ed packte den Schreibtisch und rammte ihn ihr schmerzhaft gegen die Hüfte. Wieder hechtete er über den Tisch und wich zugleich ihren verzweifelten Stößen mit der Schere aus.
»Du dämliches Miststück!«, keuchte er. »Ich werde dir nicht wehtun.«
»Nein, du willst mich umbringen«, stieß sie ebenfalls atemlos hervor. »Aber das werde ich
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