Die Nacht Hat Viele Augen -1-
ihm gewesen war, und hinterher zu aufgeregt. Der Kaffee und die Donuts, die er am Morgen zu sich genommen hatte, waren für einen eins achtzig großen und fünfundneunzig Kilo schweren Mann mit einem ausgeprägten Stoffwechsel ein paar Millionen Jahre her.
Er hätte die Frau zum Essen einladen sollen, bevor er wie ein verhungernder Wolf über sie hergefallen war, aber er war so geil und hektisch gewesen. Er hatte Angst gehabt, sie würde es sich anders überlegen und ihm irgendwie entwischen. Er riss seinen Laptop heraus, mürrisch und wütend. Wenn er hier schon im Dunkeln saß, konnte er auch ein bisschen Arbeit erledigen. Er fragte sich, ob so ein heftiger Anfall von schlechtem Gewissen genauso schnell wieder vorbeiging wie Sodbrennen oder ob es eher etwas Chronisches war. Wie Akne.
In jedem Fall hatten auch seine neuen Skrupel ihre Grenzen. Kriegsrecht hin oder her, sobald Raine dort aus der Tür trat, war sie Freiwild.
Sobald sie aus der Tür trat, gehörte sie ihm.
8
Vom Schlafzimmer über die Treppe in die Küche, ins Esszimmer, ins Wohnzimmer. Sie trampelte langsam einen Pfad in den Teppich. Alles hatte sie versucht, ein heißes Bad, Yoga, Kräutertee, entspannende Musik, aber immer, wenn sie aufhörte sich zu bewegen, sprang ihr Körper wie von allein wieder an, als hätte er einen eigenen Willen. Sie konnte nur hoffen, dass diese Überdosis Adrenalin sie wenigstens durch einen weiteren aufregenden Tag bei der Arbeit bringen würde.
Arbeit . Ihre Gedanken drehten sich wie wild im Kreis. Wie sollte sie zurück zur Arbeit gehen? Wie sollte sie ihr Make-up auflegen, ihre Strumpfhosen anziehen und ins Büro fahren, als wäre es ein ganz normaler Tag – ja Sir, nein Sir, wie Sie wünschen, Sir –, nach dieser verrückten Nacht? Wie konnte sie sich in der Nähe von Victor Lazar aufhalten und um seine Gunst buhlen, wenn er sie tatsächlich in diese Falle gelockt hatte, damit sie verführt und gedemütigt wurde.
Sofort durchlebte sie noch einmal jede Sekunde, die sie mit Seth Mackey verbracht hatte. Sie war so schamlos gewesen. Sie brauchte nur an ihn zu denken, schon stockte ihr der Atem, obwohl ihr Körper immer noch schmerzte und wund war, nachdem er sie so hart genommen hatte. Und das, obwohl sie sich abgrundtief schämte. Sie war so dumm gewesen.
Als die Uhr halb drei zeigte, gab sie es auf, noch schlafen zu wollen, und zog sich ihre Joggingsachen an. Sie würde ein paar Runden um den Block machen, um ein wenig von ihrer Nervosität abzubauen.
Nach ein paar Dehnübungen auf der Veranda joggte sie los und achtete darauf, den schwarzen Schatten auszuweichen, die die Büsche warfen. Die Luft roch nach Regen und verwelkendem Laub, und die Dunkelheit wirkte bedrohlicher auf sie als gewöhnlich, aber das schob sie auf ihre Stimmung. Sie musste unbedingt ihre Mitte finden, erst dann konnte sie sich wieder als normaler Mensch zeigen.
Sie hörte, wie leise eine Autotür geöffnete wurde, und das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. Auf der Stelle machte sie kehrt und rannte um ihr Leben.
Sie hörte leichte, schnelle Schritte hinter sich. »Raine, hey …« Sie erkannte seine Stimme, aber sie war inzwischen viel zu panisch, um sich noch umzudrehen. Sie holte so tief Luft, wie sie konnte, um zu schreien, da legte ihr Seth schon eine Hand über den Mund. »Ich bin es doch nur, du Dummchen, beruhig dich.«
Sie versenkte die Zähne tief in seine Hand. Er riss ihren Kopf am Zopf zurück und zwang sie, seine Hand loszulassen. Mit ihrem Schlüsselbund stieß sie nach seinen Augen.
Er fing ihre Hand ab und drehte sie ihr auf den Rücken. »Kämpf nicht gegen mich!«
»Du hast mir einen Schreck eingejagt!«, zischte sie. »Lass mich los!«
Doch er lockerte seinen harten Griff nicht. »Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe …«
»Oh, vielen Dank!« Wütend drosch sie auf ihn ein.
»… aber es gibt nun mal keine entspannte Möglichkeit, mitten in der Nacht in einer dunklen Straße eine Frau anzusprechen. Gib mir nur ein paar Sekunden.«
Ihr Herz schlug so schnell, dass ihr fast schwindelig war. »Ein paar Sekunden für was?«
Er hob ihre Hand an sein Gesicht. Es war jene, mit der sie die Schlüssel wie einen Dolch gepackt hielt. Mit ihrem Handrücken strich er über seine Wange, es war eine hilflose, unsichere Geste. »Um mich zu entschuldigen«, murmelte er.
Vor Schreck wurde sie ganz schwach. »Entschuldigen?«
»Ja.«
Sie wand sich in seinen Armen. Er ließ sie gerade so weit los, dass
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