Die Nacht Hat Viele Augen -1-
Fremder, der nur einen harmlosen Flirt mit ihr versucht hatte, sie so einschüchtern? An dieser Begegnung war eigentlich nichts Unheimliches. Sie bildete sich da offensichtlich etwas ein.
Doch die Schmetterlinge in ihrem Bauch wollten nicht zur Ruhe kommen. Das Eröffnungsangebot hat sich gerade verdoppelt. Was konnte das bedeuten?
Nichts Gutes, dessen war sie sich vollkommen sicher.
Sie schluckte hart und wandte ihr Gesicht wieder dem kalten Wind zu. Seth Mackeys Geliebte zu sein, hatte noch nie so verlockend geklungen.
11
»Raus aus den Federn, Junge!«
Seth riss instinktiv die Arme hoch und schützte sein Gesicht. Dann ließ er sie wieder fallen und murmelte einen angewiderten Fluch, als ihm klar wurde, was er getan hatte.
Seit seinen ersten Tagen in der Army hatte er sich nicht mehr beim Aufwachen vor einem vermeintlichen Schlag geduckt. Er starrte Connor McCloud an, der ihm einen Becher entgegenhielt. »Was zum Teufel ist denn los?«
»Ganz ruhig. Du bist ja bester Laune heute.«
Seth schwang seine Füße, die in Stiefeln steckten, von der Liege und griff nach dem Kaffee. McClouds durchdringender Blick behagte ihm nicht. Er hasste es, wie ein seltenes Insekt gemustert zu werden.
»Die Couch ist nicht lang genug für dich«, bemerkte McCloud. »Benutz das Bett, um Himmels willen. Ist Lazar immer noch draußen auf der Insel?«
Seth warf einen Blick auf seine Uhr. »Vor vierzig Minuten war er es noch.«
Connor schob die Hände in die Taschen. In seinen Augen stand Besorgnis. »Alles klar bei dir? Du siehst echt scheiße aus.«
Seth warf ihm einen eiskalten Blick zu. »Mir geht es gut.«
Connor zuckte die Schultern. »Ich frag ja nur. Und ich wollte dir sagen, dass deine Video-Barbie auch auf dem Weg nach Stone Island ist.«
Seth schüttete kochend heißen Kaffee über seine Hand und auf den Fußboden, als er zum Computer stürzte. »Wo ist sie jetzt?«
»Hey. Entspann dich. Mein Mann in der Tiefgarage hat mir gesagt, dass die Limousine auf dem Weg zum Jachthafen ist. Er hat das Personal von Lazar belauscht, das eine Stunde vorher aufgebrochen war und über die Blonde gelästert hat, weil sie zu spät dran war und die Fähre verpasst hat. Daher weiß er es. Ich hab den Anruf vor ungefähr zehn Minuten bekommen.«
»Warum zum Teufel hast du mich nicht sofort angerufen?«
»Ich war schon auf dem Weg hierher.« Connors Stimme war ruhig, aber hart wie Stahl. »Du hast doch Kameras am Jachthafen, oder? Also setz dich hin, schmeiß sie an und lass uns nachsehen, ob sie noch da ist.«
Seth tippte fieberhaft auf den Computer ein und öffnete ein Videokamerafenster nach dem anderen, bis er sie schließlich am Hafen fand, fast außer Reichweite. Sie stand auf der Plattform, von der aus man den Jachthafen überblicken konnte, und lehnte über der Reling. Der Wind hatte einige Locken aus ihrem Zopf gezerrt. Die Kamera fing ihr zartes Profil ein, wie sie hinaus in den unendlichen Himmel blickte, wie auf einem Werbefoto für teures Parfum. Sie fischte ein Tuch aus ihrer Tasche, wischte den Regen von ihrer Brille und setzte sie wieder auf.
»Komm schon, Mann. Das war doch absehbar«, sagte Connor. »Irgendwann wollte Lazar natürlich auch etwas von ihr haben.«
»Halt die Klappe, ich muss mich konzentrieren«, knurrte Seth. Er stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und grub die Fingerspitzen in sein Haar, während er die Zeit berechnete, die er brauchen würde, um zum Hafen zu kommen und sie aufzuhalten. Aber auch in der vergangenen Nacht hatte sie sich geweigert, gerettet zu werden. Warum sollte sie es sich jetzt anders überlegen? Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und raufte sich in Panik die Haare.
»Hey. Seth. Sieh dir mal den Typen in dem Trenchcoat an.«
Seth wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu. Er wünschte, sein Körper würde aufhören, ihn sinnloserweise mit Adrenalin vollzupumpen. Es war die reine Folter, so auf der Stelle zu rennen, ohne mit einem Säbelzahntiger ringen zu können oder wenigstens vor einer Lavawelle davonzulaufen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mit zunehmendem Entsetzen und Unglauben auf den Bildschirm zu starren.
»Heilige Scheiße! Denkst du, was ich denke?« Zum ersten Mal, seit Seth ihn kannte, war Connors Stimmer bar jeder Ironie.
»Auf keinen Fall«, sagte Seth.
»Doch.« Connor kam näher zum Bildschirm. »Das Gesicht ist anders, ja. Er hat sich operieren lassen, von jemandem, der das wirklich kann. Aber seine Ausstrahlung verrät ihn.
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