Die Nacht in Issy
finden. Wissen Sie übrigens, daß Ihr Vater Grund genug hatte, Alexandre umzubringen?«
Sie schaute mich erst verblüfft an, dann lachte sie hysterisch auf.
»Mein Vater? — Nein, das ist wirklich zu komisch! Mein Vater!«
»Ich weiß«, sagte ich ernst, »er ist ein würdiger, alter Herr in einer noch würdigeren Stellung. Er selbst wird schwerlich nachts in der Gegend herumschießen. Aber er könnte sich jemand dafür gekauft haben, zum Beispiel Francois. Oder er könnte mit Labourusse halb und halb gemacht haben. Labourusse hat Leute genug an der Hand, die mal den Finger krumm machen.«
Sie schaute mich aus großen Augen an, in denen sich das Fenster und der blaue Himmel spiegelten.
»Sie sind schrecklich«, flüsterte sie.
Ich schüttelte den Kopf.
Sie tat mir leid.
»Gar nicht«, sagte ich, »ich habe die ganze Wohnung durchgeschnüffelt, auch das Schlafzimmer mit dem scheußlichen Monstrum von Bett.«
Es befriedigte mich, als ich sah, daß eine tiefe Röte von ihrem Hals aufstieg und ihr Gesicht überzog.
»Ich möchte gehen«, sagte sie leise.
Ich nahm ihre Hand, die sich eiskalt anfühlte.
»Verzeihen Sie, Germaine«, bat ich, »das war häßlich von mir. Es war vielleicht etwas zu viel für mich, auch das da.«
Ich zeigte ihr die Quittung.
»Das ist der Beweis dafür, daß ich unschuldig verurteilt wurde. Alexandre war ein Schwein, und wenn es nicht jemand anders getan hätte, dann hätte ich ihn umgebracht.«
Sie schwieg. Dieses Gespräch war ganz anders, als ich es mir ausgemalt hatte. Ich hatte mir doch vorgenommen, ihr zwar alles zu sagen, sie aber dabei zu schonen.
Und nun sagte ich Dinge, die sie wie Peitschenhiebe treffen mußten.
»Warum sagen Sie mir das alles?« fragte sie, »was geht mich das alles an?«
»Es handelt sich um Alexandre und Ihren Vater. Und es handelt sich auch darum, daß ich den Mann kriegen muß, der Alexandre so elegant ins Jenseits befördert hat. Und das verspreche ich Ihnen: ehe ich ihn der Polizei übergebe, drücke ich ihm die Hand und bedanke mich bei ihm!«
Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, und ich sah, wie ihre Schultern zuckten.
»Sie sind gemein«, stammelte sie, »Sie sind ja so gemein! Sie sind noch schlimmer als Alexandre!«
Ich packte sie hart am Handgelenk.
»Er war schlimm?« fragte ich. »Sagen Sie, war er schlimm? Haben Sie ihn nicht geliebt?«
»Doch!«
Sie schrie es fast, und ich hatte Sorge, die Leute könnten auf uns aufmerksam werden.
»Doch«, wiederholte sie nach einer Weile, »ich habe ihn sehr geliebt.«
»Das dachte ich mir«, sagte ich enttäuscht, »natürlich. Weiß Gott, was Liebenswertes an ihm war.«
Sie hatte sich ein wenig beruhigt.
»Können Sie denn nicht verstehen, daß — daß er trotz allem mein Vater ist?«
Ich merkte, daß sie von Mignard sprach und nicht von Alexandre.
»Und?« Ich tat völlig gleichgültig.
Als sie nicht antwortete, fuhr ich fort:
»Er hat zu einer Zeit, als die kleinen Leute nicht wußten, woher sie ein Stück Brot bekommen sollten — da hat er sich ein Bankkonto gemacht. Er — und Alexandre — und Labourusse. Und Sie, Germaine, was haben Sie gemacht? Sie haben natürlich von all dem keine Ahnung gehabt, Sie Engel.«
»Doch«, sagte sie, »ich habe es gewußt.«
»Und haben Alexandre trotzdem zu Ihrem Geliebten gemacht? Und haben ihn trotzdem geliebt?«
»Ja.«
Ich blickte sie an, und sie senkte ihre Augen.
»Einen Mann wie Alexandre«, sagte ich, »einen solchen Mann liebt keine Frau. Man läuft ihm seines Geldes wegen nach; aber man kann ihn nicht lieben.«
Sie schwieg lange. Endlich sagte sie:
»Sie werden die Papiere morgen der Polizei übergeben?«
»Davon habe ich nichts gesagt, Germaine. Aber es ist eine Idee. Sie können Ihren Vater warnen.«
Sie sah mich an, und ihr Gesicht veränderte sich wieder. Es wurde fremd und unendlich abweisend.
»Geben Sie die Papiere mir, Monsieur Bouchard.«
Ich mußte lachen.
»Das könnte Ihnen so passen, Kindchen«, sagte ich, »und dann wird alles fein säuberlich verbrannt, und der blöde Jean Bouchard wird der Polizei ausgeliefert. Dann hat er überhaupt nichts mehr in Händen, nicht wahr? Nein, Sie müssen mich für verteufelt blöd halten, Germaine.«
»Ich hielt Sie für anständig«, sagte sie und stand auf. »Bitte bringen Sie mich hinaus!«
»Es gibt so viele Leute«, sagte ich, während ich sie zur Tür brachte, »die Anständigkeit mit Dummheit verwechseln, gerade in Ihren Kreisen, Germaine. — Auf
Weitere Kostenlose Bücher