Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
für eine seltsame Sorte Mönch, der seinen Samen bewahrte, um größere Erleuchtung zu finden. Ich weiß nicht, was die Bauern, von deren Blut ich mich ernährte, von mir dachten, wenn sie in den kurzen Augenblicken, bevor sie starben, Zeit hatten, darüber nachzudenken.
Allmählich begann ich zu begreifen, dass ich zwar mehr als ein Sterblicher, aber weniger als ein allmächtiger Dämon war. Ich verfügte über keinerlei Zauberkräfte jenseits meiner neuen Kraft und eines Willens, den ich mit einiger Übung für kurze Zeit anderen aufzwingen konnte. Während die Jahre verstrichen und mein Gesicht hinter dem Puder, mit dem ich es weiß färbte, dasselbe blieb, begann ich zu glauben, dass ich vielleicht nicht sterben würde.
Die Zeit strich erstaunlich schnell dahin. Sobald ich das Stadium hinter mich gebracht hatte, in dem mich blinde Besessenheit von meiner neuen Existenz erfüllte, stellte ich fest, dass mein Leben sich gar nicht so sehr von dem unterschied, das ich erwartet hatte. Ich führte die Regierungsgeschäfte so, wie man es von mir erwartete, und sah zu, wie die Adeligen meiner Umgebung den Hof von Heian-kyo nachäfften, in der Hoffnung, sich mittels Dichtung und Betrachtung des Mondes und einer gepflegten Handschrift »denen, die zwischen den Wolken wohnen« anschließen zu können. Natürlich wussten sie sehr wohl, dass der Rang, den sie anstrebten, nur durch das Blut und nicht durch Leistung erreicht werden konnte. Sie drängten mir ihre Töchter auf, und einige davon nahm ich auf meine Art, wenn auch natürlich keine von ihnen je die Erben hervorbrachte, auf die ihre Familien gehofft hatten.
Zweimal begab ich mich in den Wald, um nach der Dame des Herbstmondes zu suchen, aber es war keine Spur von ihr zu finden. Ich sollte sie nie wiedersehen.
Nach vierzig Jahren verkündete ich, ich wolle mich zurückziehen und nach einer Pilgerreise nach Ise Mönch werden. Nach einigen Festbanketten und Geschenken trat ich die Reise zurück nach Heian-kyo an. Wie zuvor durfte ich auch diesmal nicht ohne Begleitung reisen, und so ritt ich in Gesellschaft von zehn Leuten. Vier trugen meine Sänfte, zwei waren Diener, zwei Soldaten aus der örtlichen Garnison und die beiden letzten Söhne einer ortsansässigen Familie, die darauf hofften, in der Hauptstadt oder dem Kloster ihr Glück zu machen.
Wir befanden uns seit einem Tag im Gebirge, als die Wegelagerer angriffen. Während ich in der Sänfte wartete, töteten sie mein gesamtes Gefolge mit einer Ausnahme: Ein Sohn konnte entfliehen. Als die Sonne versank, trat ich zwischen den schützenden Vorhängen hervor auf den dunkler werdenden Pfad. Fünf Wegelagerer waren damit beschäftigt, die Leichen ihres Schmucks zu berauben. Einer wühlte in den Bündeln nach Wein, der letzte musterte mich mit einem schwachen Lächeln. Als er die Hand nach der versprochenen Bezahlung ausstreckte, tötete ich erst ihn und dann seine Gefährten. Eines meiner blutigen Gewänder ließ ich auf dem Weg zurück. Wenn die Behörden die Leichen fanden, würden sie annehmen, dass mein Gefolge und die Wegelagerer sich gegenseitig umgebracht hatten und dass ich ohne Zweifel in den Wald gekrochen war, um dort zu sterben.
Alleine machte ich mich auf den Weg zum Heim meiner Kindheit.
21
Die Queen Street war weniger belebt als beim letzten Mal, als sie hier gewesen war. Damals hatte die Sommerhitze die Fenster der Restaurants an der Straße geöffnet, und die Menschen hatten in der schwülen Luft die Straßen bevölkert. Jetzt gingen sie zielgerichteter, die Hände in den Taschen, die Schultern etwas nach vorne gezogen, als könnten sie in der Brise schon den ersten Hauch des Winters spüren.
Ardeth ließ sich auf dem Bürgersteig treiben, wie sie es vor so vielen Nächten getan hatte. Sie hatte ihre Jagdkleidung angelegt: schwarzer Minirock, weite schwarze Jacke. Sie war eigentlich nicht hungrig, noch nicht. Aber mit der Entscheidung, hierher zurückzukehren, ging auch die einher, sich entsprechend zu kleiden.
Unverstärkte Gitarrenklänge schwebten von weiter vorne auf sie zu. Eine kleine Gruppe von Menschen war stehen geblieben, um zwei Musikern zuzusehen, die dort spielten und sangen. Ardeth blieb einen Augenblick lang am Rande des kleinen Kreises stehen und sah zu. Sie waren nicht schlecht. Natürlich nicht so gut wie Sara, aber auch nicht schlecht. Einer der beiden war sogar einigermaßen attraktiv, mit den Anfängen eines dunklen, etwas unordentlichen Bartes und blauen Augen mit
Weitere Kostenlose Bücher