Die Nadel.
Unglück begann es jetzt auch noch zu regnen: ein kalter, stetiger Sprühregen, der
seine Kleidung durchnäßte und auf seiner Haut zu Eis zu werden schien. Jetzt hatte er
noch einen Grund, den Zug bald zu verlassen; denn er könnte erfrieren, bevor Glasgow
erreicht war!
Als der Zug eine halbe Stunde mit hoher Geschwindigkeit dahingefahren
war, spielte er mit dem Gedanken, den Heizer und den Lokomotivführer zu töten, um selbst
den Zug anzuhalten. Ein Stellwerk rettete ihnen das Leben. Der Zug wurde plötzlich
langsamer, als die Bremsen anzogen. Er verringerte das Tempo etappenweise. Faber nahm an,
daß dieser Abschnitt der Bahnlinie entsprechend ausgeschildert war. Er blickte hinaus. Sie
waren wieder auf offener Strecke und näherten sich einem Knotenpunkt, dessen Signale auf
»Halt« standen. Deswegen also.
Faber blieb im Tender, während der Zug
stillstand. Nach fünf Minuten ruckte er wieder an. Faber zog sich an der Seitenwand des
Tenders hoch, balancierte einen Moment lang auf der Kante und sprang ab.
Er landete
auf dem Bahndamm und endete mit dem Gesicht nach unten in üppig wucherndem Unkraut. Als
der Zug außer Hörweite war, stand er auf. Das einzige Anzeichen von Zivilisation in der
näheren Umgebung war das Stellwerk, ein zweigeschossiges Holzgebäude mit großen Fenstern
im oben gelegenen Dienstraum, einer Treppe an der Außenseite und einer Tür im
Erdgeschoß. Auf der anderen Seite führte ein Schotterpfad von dem Haus weg.
Faber
schlug einen großen Bogen um das Gebäude, um sich ihm von hinten zu nähern, wo es keine
Fenster gab. Er tratdurch eine Tür im Erdgeschoß und fand, was er
erwartet hatte: eine Toilette, ein Waschbecken und einen Mantel, der an einem Haken
hing.
Er zog seine nasse Kleidung aus, wusch sich Hände und Gesicht und rieb sich
kräftig am ganzen Körper mit einem schmierigen Handtuch ab. Die kleine zylindrische Dose
mit den Negativen war immer noch fest mit Pflaster an seine Brust geklebt. Er zog seine
Kleidung wieder an, tauschte aber seine eigene, völlig durchnäßte Jacke gegen den Mantel
des Eisenbahners.
Nun brauchte er nur noch ein Fahrzeug. Der Mann im Stellwerk
mußte ja auch irgendwie hierhergekommen sein. Faber ging hinaus und fand ein Fahrrad, das
mit einem Vorhängeschloß an einem Geländer hinter dem Haus festgemacht war. Er sprengte
das kleine Schloß mit der Klinge seines Stiletts. Dann ging er geraden Wegs von der
fensterlosen Rückseite des Gebäudes fort und schob das Fahrrad, bis er außer Sichtweite
war. Er ging weiter, querfeldein, bis er den Schotterpfad erreicht hatte, stieg auf und
radelte davon.
DRITTER TEIL – KAPITEL 16
ercival Godliman hatte
sich ein kleines Feldbett von zu Hause mitgebracht. Er hatte sich, mit Hose und Hemd
bekleidet, in seinem Büro darauf ausgestreckt und versuchte vergeblich zu schlafen. Seit
beinahe vierzig Jahren, als er seine Examina an der Universität gemacht hatte, war ihm das
nicht mehr passiert. Er hätte die Ängste jener Tage gern gegen die Sorgen getauscht, die
ihn nun wachhielten.
Er wußte, daß er damals ein ganz anderer Mensch gewesen war
– nicht nur jünger, sondern auch viel weniger . . . zerstreut. Er war gesellig,
zupackend und ehrgeizig gewesen und hatte vorgehabt, in die Politik zu gehen. Sein
Studieneifer hatte sich damals in Grenzen gehalten, weshalb er auch wirklich Grund gehabt
hatte, sich vor den Prüfungen zu fürchten.
Seine beiden großen Hobbys in jenen
Tagen hatten schlecht zueinander gepaßt: Debattieren und Gesellschaftstanz. Er hatte sich
in der Oxford Union ausgezeichnet und war in The Tatler beim Walzer mit
Debütantinnen abgebildet worden. Ein großer Schürzenjäger war er nicht gewesen. Er
wollte nur mit einer Frau intim werden, die er liebte – nicht, weil er an irgendwelche
hehren Prinzipien glaubte, sondern weil er eben so war.
Er hatte keine sexuellen
Erfahrungen gehabt, ehe er Eleanor traf, die keine von den Debütantinnen war, sondern eine
brillante Mathematikerin, die Anmut und Wärme besaß und einen Vater, der vierzig Jahre
lang unter Tage gearbeitet hatte und an einer Staublunge zugrunde ging. Der junge Percival
hatte sie seiner Familie vorgestellt. Sein Vater war Lord Lieutenant der Grafschaft
gewesen, und das Haus war Eleanor wie ein Schloß vorgekommen, aber sie hatte sich
natürlich und charmant und nicht im geringsten eingeschüchtert gegeben. Als Percys Mutter
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