Die Nadel.
weiter.«
Polizeidirektor Anthony war ein aufstrebender Angehöriger der englischen
Middle Class, der versuchte, seinen Liverpooler Akzent zu verbergen. Er wußte nicht, ob er
sich darüber ärgern sollte, daß der MI5 ihn herumkommandierte, oder ob er sich über die
Möglichkeit freuen sollte, in seinem Zuständigkeitsbereich zur Rettung Englands
beizutragen.
Bloggs wußte um den inneren Kampf des Mannes – er hatte so etwas schon
öfter erlebt, wenn er mit örtlichen Polizeibehörden zusammenarbeitete –, und er wußte,
wie er die Waagschale zu seinen Gunsten beeinflussen konnte. Er sagte: »Ich bin Ihnen dankbar
für Ihre Hilfsbereitschaft. Eine solche Mithilfe wird in Whitehall gewiß nicht unbeachtet
bleiben.«
»Tun nur unsere Pflicht«, antwortete Anthony. Er war sich nicht sicher, ob
er Bloggs »Sir« nennen sollte.
»Immerhin gibt es einen großen Unterschied zwischen
widerwilliger Unterstützung und aktiver Mitarbeit.«
»Sicher. Wird wohl ein paar
Stunden dauern, bis wir die Fährte des Mannes wiederaufnehmen. Wollen Sie ein Nickerchen
machen?«
»Gern«, sagte Bloggs dankbar. »Wenn Sie irgendwo in der Ecke einen Stuhl
haben . . . «
»Bleiben Sie hier.« Anthony zeigte auf sein Büro. »Ich werde unten im Einsatzraum sein. Sobald wir etwas Neues wissen, wecke ich Sie. Machen Sie sich’s bequem.«
Anthony verließ das Zimmer. Bloggs setzte sich in einen Sessel und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Sofort sah er Godlimans Gesicht, als wäre es mit einem Filmprojekter auf die Innenseite seiner Lider geworfen, und hörte ihn sagen: »Jede Trauer muß ein Ende haben . . . Ich will nicht, daß Sie den gleichen Fehler machen.« Bloggs erkannte plötzlich, daß er sich das Ende des Krieges nicht herbeisehnte; denn dann würde er sich Problemen stellen müssen, wie Godliman sie angesprochen hatte. Der Krieg machte ihm das Leben leicht; denn er wußte, warum er den Feind haßte und wie er ihn bekämpfen konnte. Daneben erschien ihm der Gedanke an eine andere Frau treulos, nicht nur gegen Christine, sondern irgendwie auch gegen England.
Er gähnte und ließ sich tiefer in den Sessel sinken. Seine Gedanken wurden verschwommener, während der Schlaf ihn langsam übermannte. Wenn Christine vor dem Krieg gestorben wäre, hätte er ganz anders über eine neue Ehe gedacht. Er hatte sie natürlich immer gern gehabt und geachtet, aber nachdem sie angefangen hatte, Krankenwagen zu fahren, war aus Achtung ehrfurchtsvolle Bewunderung und aus Zuneigung Liebe geworden. Sie hatten damals etwas Besonders besessen, etwas, das anderen Paaren nicht gegeben war. Jetzt, da sich der Krieg dem Ende zuneigte, wäre es leicht für Bloggs gewesen, eine andere Frau zu finden, für die er Achtung und Zuneigung verspürte, doch er wußte, daß ihm das nicht genügen würde. Eine gewöhnliche Ehe und eine gewöhnliche Frau würden ihn immer daran erinnern, daß er einmal das Ideal besessen hatte.
Er rührte sich in seinem Sessel und versuchte, diese Unwägbarkeiten abzuschütteln, damit er schlafen konnte. England sei voll von Heldinnen, hatte Godliman gesagt. Aber wenn die Nadel entkam . . .
Eins nach dem anderen . . .
Jemand rüttelte ihn. Er war in einem tiefen Schlaf gefangen und träumte, daß er mit der Nadel in einem Zimmer war, ihn aber nicht ausfindig machen konnte, da der andere ihn mit dem Stilett geblendet hatte. Als er aufwachte, glaubte er immer noch, blind zu sein, weil er nicht sah, wer ihn schüttelte, bis er merkte, daß er nur die Augen geschlossen hatte. Er öffnete sie und erkannte die große, uniformierte Gestalt von Polizeidirektor Anthony über sich.
Bloggs setzte sich gerade hin und rieb sich die Augen. »Was Neues?« fragte er.
»Eine Menge«, erwiderte Anthony, »die Frage ist, was davon wichtig ist. Hier ist Ihr Frühstück.« Er stellte eine Tasse Tee und einen Teller mit Keksen auf den Schreibtisch und setzte sich an die andere Seite.
Bloggs stand aus dem Sessel auf und zog einen Stuhl an den Tisch heran. Er nippte an dem Tee, der schwach und sehr süß war. »Also los.«
Anthony übergab ihm fünf oder sechs Zettel.
Bloggs sagte: »Das sind doch nicht die einzigen Straftaten in Ihrem Bereich – «
»Natürlich nicht. Wir sind nicht interessiert an Trunkenheit, häuslichen Streitigkeiten, Verstößen gegen Verdunklungsvorschriften und Verkehrsdelikten oder an Vergehen, für die schon jemand verhaftet worden ist.«
»Entschuldigen Sie. Ich bin noch nicht
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