Die Nadel.
hinter ihm her, Constable – ist er ohne Licht Rad
gefahren?«
»Spar dir solche Scherze, Harry – gib das Bild weiter. Hat jemand den
Burschen mitgenommen?«
»Ich nicht.«
»Nein.«
»Tut mir leid,
Constable.«
»Ist mir nie unter die Augen gekommen.«
»Vielen Dank,
Leute. Wenn ihr ihn seht, macht Meldung. Wiedersehn.«
»Constable?«
»Ja,
Bill?«
»Sie haben die Brötchen nicht bezahlt.«
»Sind als Beweismaterial
beschlagnahmt. Wiedersehn.«
Smethwicks Tankstelle, Carlisle: »Morgen, Missus. Wenn Sie eine Minute . . . «
»Komme sofort, Herr Wachtmeister. Muß nur noch diesen Gentleman bedienen . . . Zwölf Shilling Sixpence, bitte, Sir. Vielen Dank. Auf Wiedersehen . . . «
»Wie geht das Geschäft?«
»Schlecht wie immer. Was kann ich für Sie tun?«
»Können wir für einen Moment ins Büro gehen?«
»Ja, kommen Sie . . . Also?«
»Sehen Sie sich dieses Bild an. Hat dieser Mann hier neulich bei Ihnen getankt?«
»Das dürfte nicht schwierig sein. Schließlich kommen unsere Kunden nicht gerade in Massen . . . oh! Wissen Sie was, ich glaube, er war hier!«
»Wann?«
»Vorgestern, morgens.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Tja . . . er war älter als auf dem Bild, aber ich bin ziemlich sicher.«
»Was hat er gefahren?«
»Einen grauen Wagen. Ich verstehe nicht viel von Automarken. Das Geschäft gehört eigentlich meinem Mann, aber er ist jetzt bei der Marine.«
»Wie hat der Wagen denn ausgesehen? War es ein Sportwagen? Eine Limousine?«
»Es war ein altes Modell, mit einem Leinenverdeck, das hochgeklappt werden kann. Ein Zweisitzer. Sportlich. Ein Reservekanister war mit Schrauben am Trittbrett befestigt. Den habe ich auch nachgefüllt.«
»Erinnern Sie sich daran, was er trug?«
»Nicht genau. Arbeitskleidung, glaube ich.«
»Ein großer Mann?«
»Ja, größer als Sie.«
»Teufel, ich glaube, das ist er! Haben Sie Telefon?«
William Duncan war 25 Jahre alt, einen Meter sechsundsiebzig groß. Er
wog stattliche siebzig Kilo, und sein Gesundheitszustand war erstklassig. Sein Leben an der
frischen Luft und sein völliges Desinteresse an Tabak, Alkohol und nächtlichen
Ausschweifungen sorgten dafür. Trotzdem war er nicht Soldat geworden.
Bis zum Alter
von acht Jahren schien er ein normaler, wenn vielleicht auch etwas zurückgebliebener Junge
zu sein. Doch dann entwickelte sich sein Verstand nicht mehr weiter. Niemand hatte eine
Erklärung dafür – es gab weder ein seelisches Trauma noch irgendeine körperliche
Beeinträchtigung. Es dauerte sogar einige Jahre, bis man merkte, daß etwas mit ihm nicht
stimmte. Erst im Alter von fünfzehn Jahren konnte man eindeutig erkennen, daß er
einfältig war, und mit achtzehn wurde er überall der »Blöde Willi« genannt.
Seine Eltern gehörten beide einer obskuren Fundamentalisten-Sekte an, deren Mitglieder
nur unter sich heiraten durften (was möglicherweise etwas mit Willis Verblödung zu tun
hatte). Sie beteten natürlich für ihn, aber sie brachten ihn auch zu einem Facharzt in
Stirling. Der Doktor, ein älterer Mann, machte mehrere Tests mit ihm und teilte ihnen
daraufhin, über die goldberänderten Halbgläser seiner Brille hinwegblickend, mit, daß
der Junge die geistige Reife eines Achtjährigen habe und daß es dabei auch bleiben
werde. Sie beteten weiterhin für ihn, doch sie vermuteten, daß der Herr sie prüfen
wolle. Deshalb sorgten sie dafür, daß Willis Seele gerettet wurde, und freuten sich auf
den Tag, da sie ihrem dann von allen Leiden geheilten Sohn wieder in der himmlischen
Herrlichkeit begegnen würden. Zunächst aber brauchte er eine Arbeit.
Ein
Achtjähriger kann Kühe hüten, also wurde der »Blöde Willi« Kuhhirte. Beim Kühehüten
sah er das Auto zum erstenmal.
Er glaubte, daß ein Liebespaar darin sei.
Willi wußte von Liebespaaren. Das heißt, er wußte, daß es Liebespaare gab und daß
sie an dunklen Orten wie Gebüschen,Kinos und Autos unaussprechliche
Dinge miteinander anstellen. Er trieb die Kühe rasch an dem Busch vorbei, neben dem der
Morris-Cowley-Zweisitzer geparkt war (er verstand von Autos so viel wie jeder
Achtjährige auch), und schaute dabei angestrengt weg, um nicht sündhaften Tuns
angesichtig zu werden.
Er brachte seine kleine Herde zum Melken in den Kuhstall,
ging auf einem Umweg nach Hause, aß Abendbrot, las seinem Vater – laut und mühsam –
ein Kapitel aus dem Buch Levitikus vor, legte sich ins Bett und träumte von
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