Die Nadel.
Liebespaaren.
Am Abend des nächsten Tages war der Wagen immer noch da. Trotz seiner
Unschuld wußte Willi, daß Liebespaare das, was immer sie im einzelnen miteinander
anstellten, nicht vierundzwanzig Stunden lang ohne Pause tun konnten.
Diesmal ging
er schnurstracks auf das Auto zu und schaute durch die Scheiben ins Innere. Niemand saß
darin. Das Erdreich unter dem Motor war schwarz und ölverschmiert. Willi sann sich eine
neue Erklärung aus: Der Fahrer hatte wohl eine Panne gehabt und das Auto hier
zurückgelassen. Er fragte sich natürlich nicht, warum es halb in einem Gebüsch versteckt
worden war.
Als er zum Kuhstall kam, erzählte er dem Farmer, was er gesehen
hatte. »Ein kaputtes Auto steht oben auf dem Weg an der Hauptstraße.«
Der Farmer
war ein großer Mann mit dichten sandfarbenen Augenbrauen, die sich zusammenzogen, wenn er
nachdachte. »War niemand dort?« fragte er.
»Nein – und es war schon gestern
da.«
»Warum hast du mir denn gestern nichts gesagt?«
Willi
errötete. »Ich dachte, daß es vielleicht . . . ein Liebespaar ist.«
»Ach!« Dem
Farmer war klar, daß Willi sich nicht zierte, sondern in echter Verlegenheit war. Er
klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Ist schon gut, geh nach Hause. Ich kümmere mich
darum.«
Nach dem Melken ging der Farmer hinaus, um selbst nachzusehen.Er fragte sich, warum das Auto halb im Gebüsch verborgen war. Er
hatte von dem Londoner Stilettmörder gehört. Zwar zog er nicht den voreiligen Schluß,
daß der Mörder den Wagen zurückgelassen hatte, aber er hielt einen Zusammenhang mit
irgendeinem Verbrechen für möglich. Deshalb mußte der älteste Sohn nach dem Abendessen
ins Dorf reiten und die Polizei in Stirling anrufen.
Die Polizei traf ein, bevor
sein Sohn zurück war. Es waren mindestens ein Dutzend Beamte, von denen einer fast
pausenlos Tee trank. Der Farmer und seine Frau mußten die halbe Nacht aufbleiben und sich
um sie kümmern.
Der »Blöde Willi« wurde gerufen, damit er noch einmal seine
Geschichte erzählte. Er wiederholte, daß er den Wagen am Abend zuvor gesehen hatte, und
errötete wieder, als er seine Vermutung erwähnte, es müsse sich um ein Liebespaar
handeln.
Für ihn war es alles in allem die aufregendste Nacht des Krieges.
An jenem Abend fuhr Percival Godliman, dem die vierte Nacht
hintereinander im Büro bevorstand, nach Hause, um zu baden, sich umzuziehen und seinen
Koffer zu packen.
Er hatte eine Wohnung mit Service in einem Häuserblock in
Chelsea. Sie war klein, doch groß genug für einen Alleinstehenden und sauber und
ordentlich bis auf das Studierzimmer. Die Zugehfrau durfte es nicht betreten, was zur Folge
hatte, daß es mit Büchern und Papieren übersät war. Das Mobiliar stammte natürlich aus
der Vorkriegszeit, aber es war geschmackvoll ausgewählt, und die Wohnung wirkte
behaglich. Im Wohnzimmer standen lederne Klubsessel und ein Grammophon; die Küche war voll
von nur selten benutzten Geräten.
Während das Badewasser einlief, rauchte er eine
Zigarette – er hatte sich in letzter Zeit daran gewöhnt, da eine Pfeife zu viele
Umstände machte – und betrachtete seinen wertvollsten Besitz, ein Gemälde mit einer
grausig-phantastischen mittelalterlichen Szene, wahrscheinlich von Hieronymus Bosch. Es
war ein Familienerbstück.Sogar als Godliman Geld benötigte, hatte er
es nicht verkauft, da es ihm gefiel.
Als er in der Badewanne saß, dachte er an
Barbara Dickens und ihren Sohn Peter. Er hatte niemandem von ihr erzählt, nicht einmal
Bloggs. Als sie sich darüber unterhielten, ob man wieder heiraten solle, war er gerade im
Begriff gewesen, von ihr zu reden, als Colonel Terry auftauchte und ihr Gespräch
unterbrach. Sie war Witwe; ihr Mann war gleich zu Beginn des Krieges gefallen. Godliman
wußte nicht, wie alt sie war, aber sie wirkte wie vierzig, was jung für die Mutter eines
zweiundzwanzigjährigen Jungen ist. Sie übersetzte abgefangene feindliche Funksprüche,
war klug, amüsant und sehr attraktiv. Außerdem war sie reich. Godliman hatte sie
insgesamt dreimal zum Abendessen eingeladen, bevor der Zirkus mit Faber angefangen
hatte. Er glaubte, daß sie in ihn verliebt war.
Sie hatte ein Treffen zwischen
Godliman und ihrem Sohn Peter, einem Captain, arrangiert. Der Junge gefiel Godliman. Doch
er wußte etwas, wovon weder Barbara noch ihr Sohn eine Ahnung hatten: Peter würde an der
Landung in der
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