Die Nächte der Aphrodite
Duft eines holzigen Eau de Toilette ein. Elaine schätzte ihn auf knapp zwanzig Jahre. Kleidung und Aussehen legten die Vermutung nahe, dass es sich um den Sohn eines Adligen oder zumindest eines begüterten Bürgers handeln musste.
Die Lider des Mannes begannen zu zucken, dann öffnete er die Augen und blickte sich verwirrt um. »Was ...« Er hustete, und Elaine hielt ihm die Wasserflasche an die Lippen. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, versuchte er es erneut. »Was ist passiert? Wo bin ich?« Langsam richtete er sich auf, und der Herzog griff nach seinem Arm, um ihn zu stützen.
»Ihr seid auf dem Besitz des Herzogs von Mariasse, mein Junge«, erwiderte er. »Und was passiert ist, darauf können wir keine Antwort geben, wir haben Euch hier bewusstlos aufgefunden.« Er blickte ihn an. »Wie ist Euer Name?«
»Vincent«, sagte der junge Mann und setzte sich ganz auf, um sich mit der Hand über das Gesicht zu wischen, als wollte er ein Gespinst verscheuchen. »Vincent«, wiederholte er.
»Vincent - und weiter?«, fragte Elaine sanft.
Verwirrt sah er sie an. Dann weiteten sich die moosgrünen Augen ungläubig. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie ich heiße ... Vincent ... Vincent ...« Er brach ab und fuhr sich durchs Haar. »Großer Gott, ich weiß meinen Namen nicht.«
Der Herzog ließ ihn los und erhob sich. »Vielleicht seid Ihr gestürzt und habt Euch dabei den Kopf gestoßen. Am besten, Ihr kommt erst einmal mit uns. Wenn Ihr Euch in ein paar Tagen noch immer nicht erinnert, lasse ich einen Arzt kommen. Könnt Ihr aufstehen, oder sollen Euch meine Männer zur Kutsche tragen?« Er klopfte den Staub von seinen Hosen und brachte den Justaucorps in Ordnung.
Vorsichtig rappelte sich der Mann hoch und blieb schließlich aufrecht stehen. Instinktiv griff Elaine nach seinem Arm. Er lächelte sie an, ehe er sich an den Herzog wandte, der ein letztes Stäubchen von seiner Manschette fegte. »Ich bin Euch zu Dank verpflichtet, Monsieur ...?«
»Ich bin der Herzog von Mariasse.« Seine Stimme klang so kühl, dass Elaine unwillkürlich die Brauen hob.
Der Mann deutete eine schiefe Verbeugung an. »Ich danke Euch für das Angebot Eurer Gastfreundschaft, Euer Gnaden. Und hoffe, sie nicht allzu lange in Anspruch nehmen zu müssen.« Er entzog Elaine seinen Arm. »Ich bedauere die Umstände, unter denen wir uns kennenlernen mussten, Herzogin ...«
Ein lautes Räuspern des Herzogs unterbrach ihn, und Elaine unterdrückte ein Lächeln, ehe sie unbekümmert sagte: »Ich bin Elaine Callière, ebenfalls ein Gast des Herzogs.«
»Oh, entschuldigt, ich dachte ...« Er blickte von Elaine zum Herzog und seine Wangen bekamen etwas Farbe. »Was auch immer. Ich danke Euch.«
Elaine konnte sich lebhaft vorstellen, was der junge Mann dachte und fühlte sich mehr belustigt als geschmeichelt. Oder beleidigt. Später würde sie seinen Irrtum aufklären, falls er nicht selbst darauf kam.
Sie gingen zurück zur Kutsche. Vincent setzte sich in gebührendem Abstand neben Elaine und befand sich damit dem Herzog gegenüber. Die bernsteinfarbenen Augen musterten ihn weiterhin. »Wisst Ihr sonst noch irgendetwas, außer Eurem Vornamen? Seid Ihr bei Verwandten zu Besuch - hier aus der Gegend stammt Ihr jedenfalls nicht, sonst würde ich Euch kennen.«
Der junge Mann lächelte arglos. »Der Herzog von Mariasse kennt also alle Bewohner des Landstrichs?«
»Ja.«
Ein Wort wie ein Hieb. Vincents Lächeln erlosch. Er blickte aus dem Fenster. »Nein, ich erinnere mich nicht, woher ich komme. Wie meine Eltern heißen, was sie tun oder was ich tue. Ich weiß nicht einmal, wie es dazu kam, dass ich bewusstlos auf dem Weg lag.«
»Ich bin sicher, nach einer geruhsamen Nacht oder zwei wird sich Euer Gedächtnis wieder einfinden«, sagte Elaine aufmunternd. »Und wenn Euch der Herzog nicht kennt, dann bedeutet das bestimmt, dass Ihr aus der Fremde kommt.«
»Was ist mit Eurer Börse?«, fragte der Herzog hartnäckig. »Oder mit einer gravierten Schnupftabakdose?«
Vincents Hände fuhren in die Taschen seiner Jacke und kehrten leer zurück. »Sie ist weg, alles ist weg, meine Börse, meine Ringe, meine Taschenuhr.«
»Ein Raubüberfall also«, rief Elaine. »Man hat Euch in eine Falle gelockt, niedergeschlagen und ausgeraubt.«
Vincent blickte auf seine nackten, schmucklosen Finger. »So scheint es. Und ich trage Reitstiefel. Habt Ihr ein herrenloses Pferd gefunden?«
»Nein, aber vielleicht haben die Räuber auch das Pferd
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